Die Entführung der Musik
zulaufenden Lautsprecher feuerten Jon-Toms inspirierte Variationen von Coopers klassischem Text hervor, und zusammen schafften sie es, Hieronymus Hinckel, sein morbides Gefolge und ihre schauerlichen Tonfolgen endgültig kleinzukriegen.
Hinckel bedachte sie gnadenlos mit Schimpftiraden, grub sich mit den Fingern in den Sand und klammerte sich so verzweifelt am Boden fest. Eigentlich gibt es kaum einen Unterschied zwischen seinem Ge- kreisch und seinem Gesang, dachte Jon-Tom. Seine zerschmetterte Gitarre landete als saitenbespannter Schrottklumpen in einer Baum- krone. Die zu einer Blechscheibe zusammengequetschte Mundharmo- nika wurde von einem Akkordstoß gepackt und nach Süden getragen - ein rechteckiger Frisbee in der klingenden Flut.
Während die Musik über sie hinwegdonnerte und die Insel bis in ih- re Grundfesten erschütterte, klammerten Soldaten und Prinzessinnen sich weiter fest. Eigentlich hatte das Ganze durchaus Ähnlichkeit mit gewissen Konzerten, die er einmal besucht hatte, überlegte Jon-Tom. Kein Wunder, daß es ihm soviel Spaß machte.
»Genug, bitte!« Über dem Dröhnen war die dünne schrille Stimme kaum zu hören. Der völlig erschöpfte Hinckel, dessen Kleider in Fet- zen gerissen waren, hielt sich an einem umgeknickten Bäumchen fest. Sein hagerer Körper flatterte parallel zur Erde wie ein dünner Wimpel aus Fleisch im Wind der Lautsprecher, und die Musik drohte ihn hin- wegzufegen.
Jon-Tom ließ die Finger von den Saiten der Duar gleiten und brach- te damit den Donner zum Verstummen. Das schwarze Kabel hinter sich herziehend, stieg er die sanfte Steigung des Strands hinan, bis er auf den keuchenden, zerschlagenen Musiker niederblickte. Hinckel lag auf der Seite, und seine magere Brust hob und senkte sich wie bei einem Gebläse.
»Versprichst du es? Keinen Ärger mehr zu machen und die Musik anderer Leute nicht mehr zu stehlen?« Hinckel nickte heftig und un- terwürfig.
»Gut.« Mit einem letzten warnenden Riff, bei dem sich sein wim- mernder Gegenspieler in Embryonalhaltung zusammen krümmte, kam Jon-Tom zum Ende und ließ die Duar in Ruhestellung gleiten. Zum allerersten Mal spürte er beim Anfassen tatsächlich Hitze. Aber er hat- te ja auch noch nie ein solches Maß an Verstärkung benutzt. Sanft zog er am Ende des Kabels. Das flache Endstück löste sich aus der Duar; die Spitze war schwarz verschmort. Rauchkringel stiegen nach oben.
Nicht alles war Stille. Die Prinzessinnen richteten sich mühsam auf und brachten unter Geschnatter ihre Kleidung wieder in Ordnung. Zu- sammen mit den Soldaten und Jon-Tom versammelten sie sich um die enorme Pauke.
Der Bannsänger legte den Kopf in den Nacken und die Hände trich- terförmig an den Mund. »Das reicht, Mudge!«
»Was sagste, Kumpel?« Als der Otter sich über den Rand beugte, schien es Jon-Tom, als stiegen auch von seinen Schnurrhaarspitzen ein paar Rauchkringel auf.
»Ich habe gesagt, du kannst jetzt aufhören!« schrie der Bannsänger so laut wie möglich.
Der Otter schlug sich an den Kopf. »Versteh kein Wort, Kumpel. Mußt mal lernen, deine Stimme richtig zu benutzen.«
Jon-Tom räusperte sich und fuhr sich mit dem Finger quer über die Kehle.
»Ach, so is es? Na, prima.« Für ein paar Momente verschwand der Otter hinter dem Rand des Instruments, tauchte kurz danach völlig be- kleidet wieder auf und rutschte zu den anderen nach unten.
Dort angekommen, umarmte er gratulierend zuerst seinen Freund, dann die Soldaten und zum Schluß die Prinzessinnen, in deren Umar- mung er zum Teil so lange verweilte, daß sie ihn schließlich wegsto- ßen mußten.
»'ab schon 'ne Menge von deiner Bannsängerei zu sehn bekommen, Kumpel, aber das war das erste Mal, daß ich dir dabei ge'olfen 'ab. Ich will 'ne Taschenratte sein, wenn das nich Spaß gemacht 'at!«
»Spaß macht es oft.« Jon-Tom lächelte breit.
»Du mußt lauter sprechen, Kumpel. Ich kann dich kaum 'ören. 's macht Spaß, okay, abgesehn von den viel zu vielen Gelegen'eiten, wo deine Magiemacherei mehr als nur 'n bißchen danebengeht.« Mit for- schendem Blick versuchte er, hinter den Freund zu schauen.
»Wo wir grad von Leuten sprechen, die 'n bißchen daneben sind, wo is diese stinkige Entschuldigung für 'nen warmblütigen Zweibei- ner?«
Jon-Tom zeigte über die Schulter. »Da hinten, er versucht gerade, wieder zu Atem zu kommen.«
Sie fanden Hinckel da, wo Jon-Tom ihn zurück gelassen hatte; er hatte sich etwas erholt, war aber immer noch nicht in einem Zustand,
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