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Die Entführung in der Mondscheingasse

Die Entführung in der Mondscheingasse

Titel: Die Entführung in der Mondscheingasse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Wolf
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sozusagen an die Kacheln gepreßt. Vielleicht hielt er
sich für Ornament (Verzierung). Jedenfalls streckte er die Arme
rücklings auf die Überlaufrinne, und nur seine Augen bewegten sich.
    Er trug eine hoteleigene Badekappe, die
wie eine Zellophantüte für Butterkekse aussah. Sein Gesicht war breit, aber so
ausdruckslos, als wäre es noch nicht fertig. Die Nase war auffallend klein.
    Tarzan nickte ihm zu und kraulte dann
los. Gaby folgte in Rückenlage. Das Wasser war tatsächlich warm und roch so
tot, daß Krankheitskeime keine Überlebenschance hatten.
    „Spitze!“ rief Gaby, „Ich werde jeden
Tag schwimmen.“
    Sie kraulte in Rückenlage, wendete,
tauchte. Tarzan sagte, er wäre jetzt ein Hai, und verfolgte sie zweimal rund um
das Becken. Als er schließlich doch ihren Fuß erwischte, biß er sie behutsam in
die große Zehe, was bei Gaby einen Lachanfall auslöste. Sie schluckte Wasser.
Um sie notfalls retten zu können, verwandelte sich Tarzan wieder in einen
Menschen.
    Der Typ sah zu. In seinem Breitgesicht
rührte sich nichts. Er hatte auch Tarzans Nicken nicht erwidert. Vielleicht war
er unzufrieden mit der Wassertemperatur oder von Natur aus humorlos.
    „Karl hat tatsächlich seine Badehose
vergessen“, meinte Tarzan, während sie nebeneinander schwammen. „Willi hat sie,
vermute ich, gar nicht erst mitgebracht. Der faule Kerl!“
    „Jedenfalls lasse ich mir nachher von
Sofie meinen Charakter aufblättern“, sagte Gaby.
    „Darüber kann ich dich aufklären, ohne
daß du zum Bleistift greifst.“
    „Ich will’s aber ehrlich wissen. Du
siehst mich durch eine rosarote Brille.“
    „Wieso? Wenn ich mir was vormachte,
könnte ich nicht zugeben, daß du eitel, rechthaberisch, selbstgefällig und
anspruchsvoll bist. Verwöhnt dazu!“
    „Waaaas?“ kreischte sie. „Sofort nimmst
du das zurück! Oder ich ertränke dich.“
    Hinterrücks stemmte sie sich auf seine
Schultern.
    Er konnte gerade noch rufen: „Mit mir
geht die Wahrheit unter! Du trittst sie mit Füßen.“ Dann wurde er getaucht.
    „Dich trete ich mit Füßen“, stellte
Gaby richtig und stellte sich auf seine Schultern.
    Er blieb unten. Nach einer halben
Minute blickte sie besorgt unter Wasser. Bäuchlings hatte er sich auf den Grund
gestreckt. Den Ertrunkenen spielte er gekonnt. Aber als sie von seinen
Schultern stieg, schwebte er langsam aufwärts — bis sein muskulöser Rücken aus
dem Wasser tauchte.
    Als sie ihm mit flacher Hand auf die Schultern klatschte, wurde die Wasserleiche munter.
    „Und gewalttätig“, meinte er, indem er
das Gesicht aus dem Wasser hob. „Das vergaß ich.“
    „Igitt! Mußt du ein schlechter Mensch
sein — daß du dich mit sowas wie mir abgibst.“
    „Ich versuche doch nur, dich zu
läutern. Aber wo der Charakter verwarzt ist, zieht man nichts mehr vom Teller.“
    Sie alberten, als gäbe es den Typ in
der Ecke nicht.
    Breitgesicht zupfte jetzt seine
Zellophanhaube vom Kopf und warf sie hinter sich auf die Fliesen. Er hatte braunes,
ziemlich lockiges Haar.
    Tarzan sah, wie er sich aus dem Becken
stemmte. Der Typ war groß und stabil, auf dem Rücken T-förmig behaart. Er hatte
so weißliche Haut, als nehme er seine Sonnenbäder um Mitternacht ein.
    Tarzan wandte sich Gaby zu. Im selben
Moment hörte er, wie der Mann auf sehr unappetitliche Weise ausspuckte. Was er
absonderte, klatschte vernehmlich auf die Fliesen.
    Aufgrund ihrer Blickrichtung sah Gaby
diese Widerlichkeit. Ihr Gesicht verzog sich vor Ekel.
    „Pfui, Teufel!“ sagte sie laut. „Wo
sind wir denn hier? Im Schweinestall?“
    Tarzan schraubte sich im Wasser herum. „Und
der nächste tritt rein in Ihren Auswurf, Sie! Finden Sie das richtig? Oder ist
Ihnen so übel, daß Sie’s nicht mehr bis zum Klo schaffen?“
    Der Mann blieb stehen. Mit einer Hand
fuhr er sich durchs Haar, dann wischte er sich über den Mund.
    „Habt nicht so eine große Lippe! Sonst
spucke ich euch auf den Kopf.“
    Seine Stimme röhrte, war heiser, als
litte er unter ständiger Verschleimung.
    „Das sollten Sie nicht riskieren“, lachte
Tarzan. „Es wäre ein Angriff auf die Ehre meiner Freundin. Ich müßte Sie ein
bißchen zusammenstauchen. Danach könnten Sie als der Zwerg vom Enge-Tal die
Folklore (Volkskunde) bereichern.“
    Das beeindruckte Breitgesicht nicht. Er
hob nur verächtlich den linken Teil der Oberlippe und wandte sich ab.
    Von einer Bank nahm er seinen violetten
Bademantel. Dann schwappte die Glastür hinter ihm zu.

4. Der neue

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