Die Entführung in der Mondscheingasse
Das
erschwerte die Verwandlung. Aber ihm blieb keine Wahl.
Er zog sich aus bis auf die
Unterwäsche. Der Koffer enthielt einen mausgrauen Anzug — wie ihn biedere Opas
tragen, die gern Kamillentee trinken und in der Straßenbahn nicht auffallen
wollen.
Uckmann zog ihn an. Er setzte sich die
eisgraue Perücke auf, klebte einen Bart an und schob sich Gummiplatten in den
Mund. Die Hornbrille hatte ein sehr dickes Gestell. Das lenkte den Blick ab von
seiner fipsigen Nase.
Mit dem Licht der Taschenlampe
überprüfte er seinen Anblick im Taschenspiegel. Saß alles richtig?
Vollkommen! stellte er fest. Er sah
jetzt aus wie ein alter Kerl, dem man nicht über den Weg trauen konnte, der’s
aber gern hätte, daß man ihn für einen zerstreuten Professor hielt.
Keine Ähnlichkeit mehr mit dem
geschmeidigen Gus Uckmann.
Er tat noch dies und das, verstaute
seine lässigen Klamotten im Koffer und schob sich vorsichtig durch die Zweige
zurück.
Kaum daß er sich entnadelt hatte, sah
er den Bus kommen.
Der hielt und entließ eine Schar Gäste.
Etwa ein Dutzend Männlein und Weiblein grapschte sich das Gepäck. Der
Hoteldiener tauchte nicht auf, offenbar saß er beim Abendessen. Außerdem — mit
zwölf Koffern und ebensovielen Handtaschen wäre er überlastet gewesen.
Der Bus fuhr ab. Die Gäste schleppten
sich und ihr Gepäck zum Portal. Richard Heyse, alias (auch) Gus Uckmann,
schlurfte ihnen nach, scheu und unauffällig, als hätte er ganz hinten im Bus
gesessen, von niemandem bemerkt.
Die Ankommenden bohrten ins Hotel und
überfielen Sofie, die 13 Hände und fünf Köpfe gebraucht hätte, um alle
gleichzeitig zufriedenzustellen. Aber sie war das gewohnt und lächelte eisern.
Da alle Zimmer reserviert waren, mußte auch keiner im Freien übernachten.
Während freundliche Worte und
Zimmerschlüssel verteilt wurden, hielt Uckmann-Heyse sich im Hintergrund. Als
letzter schließlich stützte er die Ellbogen auf die Rezeption.
„Guten Abend! Ich bin Richard Heyse.
Ich habe bestellt.“
Er flüsterte. Nur seine Stimme, das
wußte er, konnte ihn verraten. Selbst wenn er pianissimo (sehr leise) röhrte, klang sie dem Uckmann-Organ ähnlich.
„Guten Abend, Herr Heyse. Hoffentlich
hatten Sie eine gute Anreise.“
„Danke! Erkältet war ich schon vorher.
Ich muß leider flüstern.“
„Ich verstehe Sie gut. Vielleicht
verlieren Sie hier Ihre Erkältung. Sie bleiben drei Nächte?“
„Bis Montag“, nickte er.
„Zimmer 210“, sie händigte ihm den
Schlüssel aus. „Soll ich Ihren Koffer hinaufbringen lassen, Herr Heyse?“
„Danke! Nicht nötig. Ich nehme ihn
selbst.“
Er blickte umher, als suche er den
Lift. Schließlich war er ja neu im Hause, angeblich. Freilich durfte er diese
Ahnungslosigkeit nicht übertreiben. Denn nur wer Tomaten auf den Augen hatte,
konnte verfehlen, wo’s langging.
Während er dann in der Liftkabine
aufwärts baggerte, allein, gratulierte er sich.
Zimmer 210. Na also! Als Uckmann
bewohnte er 201. Da konnten sich die Herren besuchen, ohne das Stockwerk zu
verlassen und weite Anmärsche zu machen. Besuchen?
Die Lage des Hotels zwang ihn zu der
Doppelrolle. Nach dem Mord an diesem Glockner würde hier der Teufel los sein,
das Enge-Tal als Sackgasse zur Mausefalle. Mit dem Wagen zu fliehen, wäre viel
zu riskant gewesen. Die Polizei konnte das Tal mit Leichtigkeit abriegeln. Und
an der Straßensperre hätten sie ihn gekascht. Noch unmöglicher war’s, über die
Berge zu fliehen. Was Bergsteigen betraf, hatte er nicht die geringste
Erfahrung. Und selbst wenn — aus der Luft hätten sie ihn per Hubschrauber
gefunden und dann wie ein Edelweiß abgepflückt.
Deshalb hatte er sich den affenschlauen
Plan ausgedacht: Richard Heyse würde Glockner ermorden. Doch fast vom gleichen
Moment an würde es keinen Richard Heyse mehr geben. Nach dem konnten sie
suchen, bis sie schwarz wurden. Andererseits — niemand würde Gus Uckmann an der
Abreise hindern.
Zwei Tage konnte er die Doppelrolle
durchhalten. Lästig war, daß er nachts zwei Betten benutzen mußte. Es ging auch
nicht ohne mehrere Verwandlungen pro Tag. Was das Zimmermädchen nicht sehen
durfte, wie Perücke, Bart und Brille, das würde er in seinem abgeschlossenen
Stahlkoffer verwahren. In Uckmanns Koffer.
Im zweiten Stock stiefelte er durch den
Flur.
Er hielt sich etwas krumm und drehte
den linken Fuß auswärts. Auch in seiner Haltung mußte er sich deutlich von
Uckmann unterscheiden.
Beinahe hätte er versucht, mit dem
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