Die Entführung in der Mondscheingasse
bringen.
Für die TKKG-Freunde war das ohne
Bedeutung. Sie beschlossen, in die Halle zu gehen, wo jetzt am meisten Betrieb
war. Karl hatte was zum Lesen dabei. Klößchen wollte warten, bis er endlich in
die Küche durfte, um Theo Rennberg die Hand zu schütteln.
„Ich habe meine Spiel-Kassette
mitgebracht“, sagte Gaby zu ihrem Freund Tarzan. „Wenn du dich etwas dumm
stellst, könnte ich eine Schach-Partie gegen dich wagen.“
Tarzan blickte erstaunt. „Seit wann
brauchst du einen Dummen? Du spielst doch hervorragend. Taktisch klug,
vor-ausschauend, konzentriert und echt gefährlich mit Turm und Pferd. Kurzum,
du spielst fast so gut wie ich.“
„Aber nur fast“, lachte sie. „Weil
Schach — im allgemeinen — Jungs mehr liegt, während ich dich in Französisch abhänge.
Aber ich will dich auch mal matt setzen. Also mach gefälligst zwei, drei
mittelschwere Fehler!“
„Vom Brett werde ich dich fegen“,
grinste er. „Jedenfalls deine Figuren. Komm, ich begleite dich. Damit du nicht
zu schwer schleppst — an der Spiel-Kassette.“
Sie verzichteten auf den Lift und liefen
die Treppe hinauf. An der Biegung zum zweiten Stock hörten sie das Scheppern.
Auf dem Flur, hinter der Ecke, zerbrach Glas. Nach zwei Sekunden der Stille
folgte ein kläglicher Aufschrei.
„Doch hoffentlich kein Erdbeben
inmitten der Alpen“, seufzte Tarzan und flitzte um die Ecke.
Gaby folgte ihm.
Auf dem Flur, aber ziemlich weit hinten
vor Zimmer 210, stand ein Zimmermädchen — erkennbar an Schürze und Haustracht.
Ist ‘ne Italienerin, dachte Tarzan. So
um die 18. Ganz hübsch. Aber der Schreck hat sie versteinert. Die Scherben? Ach
so, eine Vase. Die klebt keiner mehr zusammen. Hoffentlich keine Kostbarkeit
aus dem Jahre 300 vor Christi.
Das Mädchen zitterte. Es hatte das
schwarze Haar zum Zopf geflochten und sehr dunkle Augen.
Sie sah die beiden an, dann zu Boden,
schließlich durch die geöffnete Tür in Zimmer 210.
Gabys Mitgefühl stand bereits auf der
Matte.
„Hör doch auf zu zittern“, meinte sie
und legte ihr die Hand auf den Unterarm. „Du hast eine Vase zerbrochen. Na und?
Wenn du Ärger fürchtest, nehme ich’s auf mich. Mir als Gast kann keiner.
Außerdem ist uns Herr Zinke-Schollau sehr gewogen. Ich heiße Gaby und wohne in
208. Du verstehst doch, was ich sage?“
Das Mädchen nickte. „Vielen Dank. Du
bist sehr nett. Ich heiße Serap Felek.“
„Dann bist du Türkin“, stellte Tarzan
fest. „Gut, Serap. Ich bin Peter, Tarzan genannt. Und ich habe die Vase
zerteppert. Sie gefiel mir nicht. Und wenn ich meine Anfälle kriege, benehme
ich mich wie Tarzan bei den Affen.“ Er lachte. „War Spaß. Aber wegen der Vase
brauchst du dir keine Sorgen zu machen. Das regeln Gaby und ich. Wo stand sie
denn? Damit wir wissen, an welcher Stelle wir unachtsam waren.“
Serap lächelte. „Vielen Dank. Auch du
bist sehr nett. Ihr wollt mir helfen. Das ist sehr nett. Aber es ist nicht
wegen der Vase. Herr Zinke-Schollau ist sehr nett. Er würde nicht mit mir
schimpfen, weil ich sie zerbrochen habe. Aber ich habe so schreckliche Angst
vor diesen Schußwaffen. Mein Vater und mein Bruder wurden mit einer Pistole
getötet. Von Rebellen. Ich sah das. Ich war dabei. Ich war noch sehr klein.
Aber ich habe es nicht vergessen. Es war eine Pistole wie diese dort. Deshalb
habe ich den Schreck gespürt. Und die Vase fiel hinunter. Und ich habe
geschrien.“
„Welche Pistole?“ Tarzan blickte in
Zimmer 210.
Aber erst als er einen Schritt vor und
dicht neben Serap trat, entdeckte er die Waffe.
Es war ein gewaltiger Meuchelpuffer:
groß, schwarz und sicherlich schwer. Er glänzte nach Öl und lag auf dem
Nachttisch. Daneben lagen ein Brillenetui, ein Paket Papiertaschentücher und
eine Handvoll Münzen. Deutsches Geld, wie er erkannte. Markstücke überwogen die
Groschen und Fünfer.
„Tatsächlich. Eine Kanone. Wer wohnt
denn hier? Habt ihr Terroristen im Haus, oder will jemand den letzten Mammut
erlegen?“
„Mammut?“ Das verstand Serap nicht. „Ich
glaube, bei uns wohnt kein Herr Mammut. Ich weiß auch nicht, wer hier wohnt.
Ich wollte die Vase auf den Tisch stellen und dann das Bett aufdecken. Aber
jetzt fürchte ich mich, in das Zimmer zu gehen.“
„Du hast Angst vor Schußwaffen wegen eines
schrecklichen Erlebnisses in deiner Kindheit“, stellte Gaby fest, als hätte sie
vor, Psychologie (Seelenkunde) und nicht Tiermedizin zu studieren — in
grauer Zukunft. „Aber dieses Instrument ist nur böse
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