Die Entführung in der Mondscheingasse
in der Hand eines bösen
Menschen. Ohne den ist es nichts als Metall und macht keinen Mucks. Nun ist
nicht jeder böse, der eine Waffe trägt. Es gibt Waffen-Narren, die alles
sammeln, was schießt, wie Philatelisten, nämlich Briefmarkensammler, die alles
sammeln, was klebt. Die meisten Waffenträger haben aber ihr Gerät nur zum
Schutz. Polizisten, zum Beispiel. Mein Vater ist Kommissar und besitzt
ebenfalls eine Waffe.“
Phantastisch! dachte Tarzan, wie sie
das der kleinen Türkin erklärt. Das erspart den Seelenschuster, und Serap ist
jetzt bestimmt befreit von ihrer Angst .
Doch so war’s leider nicht.
Serap begann wieder zu zittern. Das
Blutbad, dem Vater und Bruder einstmals zum Opfer gefallen waren, schien sich
wieder vor ihr geistiges Auge zu schieben.
„Ich... ich kann nicht hineingehen“,
wimmerte sie. „Was soll ich nur tun?“
„Du und ich, wir sammeln die Scherben
und die Blumen auf“, verfügte Tarzan. „Gaby kümmert sich um das Gästebett. Weiß
du, wie man das aufklappt?“ wandte er sich an seine Freundin.
„Nein!“ funkelte Pfote ihn an. „Da ich
immer auf nacktem Boden schlafe, zugedeckt mit einer Handvoll Stroh, habe ich
selbstverständlich keine Ahnung, wie man ein Bett aufklappt. Ich sehe sowas
überhaupt zum ersten Mal. Muß man es umdrehen, daß die Beine nach oben zeigen?“
„Schon gut“, grinste, Tarzan. „Es war
eine blöde Frage. Aber schließlich sollte ich mich dumm stellen.“
„So dumm nicht! Ich bat um zwei, drei
mittelschwere Fehler. Aber du zweifelst meine weiblichen Tugenden an.“
„Niiieee!“ versicherte er. „Aber bevor
wir auf der Biege abfahren — machen wir’s so? Du deckst auf, wir sammeln auf.
Aber rühr den Knaller nicht an.“
Gaby ging hinein und verfuhr recht
lieblos mit dem Bett.
Serap und Tarzan klaubten die Scherben
auf. Da es sich um Stoffblumen handelte, hatte die Vase kein Wasser enthalten.
Etwas Staub bedeckte die Nachbildungen von Rosen, Osterglocken und
Schleierkraut.
„Die müssen mal wieder in die Wäsche“,
meinte Tarzan.
Gaby kam zurück und schloß die Tür.
Serap bedankte sich, lächelte
schüchtern und eilte weiter. Sie mußte noch viele Betten aufdecken und Pyjamas
sowie Nachthemden dekorativ (schmückend) auf den Kopfkissen ausbreiten.
Man konnte nur hoffen, daß sich kein weiterer Waffenträger einquartiert hatte.
„Gut, daß wir mit keiner Frage dran
gerührt haben“, meinte Gaby. „An diese Familien-Tragödie.“
„Du sagst es.“
Serap war nicht mehr zu sehen. Das
Pärchen wandte sich ab.
Bei Zimmer 208 legte Gaby die Hand auf
die Klinke, zögerte aber.
„Warum wollen wir eigentlich Schach
spielen?“
„Es war dein Vorschlag.“
„Sind wir mit knapp 14 Jahren schon
soweit, daß wir uns langweilen — am ersten Abend im Hotel? Das spräche
überhaupt nicht für dich.“
„Du wolltest mich matt setzen. Sogar
mit weiblicher Arglist. Indem du mich zu überreden versuchtest, den Dummen zu
spielen. Aber zugegeben — auch ich wüßte was Besseres. An einem grauen
Novemberabend, nach einem Abenteuer, bei dem uns Gänsehaut wie Unterwäsche
gekleidet hat, lasse ich mir Schach gefallen. Aber hier und jetzt? Es ist
nichts los. Also müssen wir was auf die X-Beine stellen. Wollen wir Willi in
die Küche begleiten oder uns als Hausdetektive zur Verfügung stellen?“
„Ich hab’s“, lachte Gaby. „Wir gehen zu
Sofie. Schließlich hat sie versprochen, uns aus der Hand zu lesen. Ich meine:
Unsere Handschrift zu deuten.“
„Außerdem sollten wir ihr sagen, daß
einer der Gäste schwere Artillerie (Geschütze) im Zimmer rumliegen läßt.“
Sie liefen hinunter. Die Rezeption war
verwaist. Aber sie hörten Schreibmaschinen-Geräusche aus dem kleinen Büro
dahinter. Für Sofie hatte der lange Arbeitstag noch kein Ende. Sie freute sich,
als die beiden antanzten, und schob gleich beiseite, was sich auch morgen
erledigen ließ.
Tarzan und Gaby berichteten von der
Pistole.
„Der Gast von Zimmer 210 ist erst
vorhin eingetroffen“, sagte Sofie. „Ein gewisser Richard Heyse. Deutscher. Ich
glaube, aus Berlin. Ja, von dort. Er sitzt jetzt im Restaurant. Ich bin froh,
daß er seine Waffe auf dem Zimmer läßt und nicht beim Essen neben sich legt.
Ist ein ältlicher Typ und... Hm!... Wahrscheinlich ist er berechtigt, eine
Waffe zu tragen. Am besten, wir vergessen das. Allerdings...“
Sie stockte und schob die Unterlippe
über die Oberlippe, was offensichtlich beim Nachdenken half.
Tarzan riet und traf ins
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