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Die Entführung in der Mondscheingasse

Die Entführung in der Mondscheingasse

Titel: Die Entführung in der Mondscheingasse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Wolf
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Schwarze. „Du
hast seine Schrift analysiert.“
    Sofie nickte.
    „Ist Heyse ein ängstlicher Typ?“ fragte
Gaby. „Einer, der hinter jeder Ecke Gefahren wittert und sich deshalb rüstet — wie
eine friedliebende Nation, die zig Milliarden für Vernichtungswaffen ausgibt,
um den Frieden zu erhalten.“
    Sofie lächelte. „Also, ängstlich ist er
nicht. Und friedliebend sicherlich auch nicht. Im Gegenteil! Was ich aus der — sehr
kurzen — Schriftprobe ersehe, spricht für einen gewalttätigen und
rücksichtslosen Charakter. Merkmale erschreckender Brutalität häufen sich an
jedem Buchstaben.“
    „Wir werden ihn im Auge behalten“,
versprach Tarzan. „Aber ich glaube nicht, daß er hier einen Überfall plant.
Sonst würde er seine Kanone verstecken, statt damit den Nachttisch zu
dekorieren.“
    Dieser Meinung schlossen sich Gaby und
Sofie an.
    „Ganz allgemein zur Graphologie hätte
ich noch eine Frage“, sagte Gaby. „Kann man sich eigentlich hinsichtlich der
Schrift maskieren, verstellen, den Graphologen täuschen, indem man Edelmut in
seine Schrift einbaut und den Mafioso, den Macker, den Stecher und die Wildsau
rauszwingt — aus dem Buchstabensalat?“
    Sofie schüttelte heftig den Kopf. „Unmöglich.
Die Schrift ist etwas Unverwechselbares am Menschen — typisch für eine
bestimmte Person wie seine Fingerabdrucke . Die
Handschrift verrät den Charakter. Keiner kommt an den für ihn typischen
Merkmalen vorbei. Dabei ist es völlig gleichgültig, ob er mit der rechten oder mit der linken Hand schreibt, ob er den
Bleistift zwischen die Zähne klemmt oder zwischen die Zehen. Zwar würde das
Schriftbild sehr unterschiedlich ausfallen. Aber ob krakelig oder genau, ob
geschmiert oder gestochen — die typischen Merkmale sind immer enthalten. Was
ich bei Heyse rauslese, trifft auch auf einen anderen Gast, zu…“
    Sie stockte. Offenbar überlegte sie für
einen Moment, ob man weitere Ausführungen als üble Nachrede auslegen könnte.
Aber dann vertraute sie dem jugendlichen Pärchen und fuhr fort:
    „...es trifft auch auf einen anderen
Gast zu. Dessen Schrift sieht auf den ersten Blick ganz anders aus. Aber
hinsichtlich seiner charakterlichen Prägung steht der Heyse in nichts nach. Ich
erkannte das gleich nach seiner Ankunft heute morgen. Seitdem habe ich Mühe, zu
ihm freundlich zu sein.“
    „Du mußt manchmal sicherlich lächeln“,
meinte Gaby, „obwohl du den betreffenden Typ lieber anspucken würdest.“
    „Das gehört nunmal zu meinem Job“,
nickte Sofie. „Andererseits maße ich mir nicht an, jedem ins Herz zu blicken.
Irrtum ist immer möglich. Und solange jemand keine goldenen Löffel stiehlt,
soll’s ihm hier an nichts fehlen.“
    Tarzan wuschelte mit fünf Fingern durch
seine braunen Locken. Ein Wort hatte bei ihm als Stichwort gezündet.
    „Da Gaby gerade vom Spucken sprach — ihr
habt hier einen hohlen Typ, den ich abbürsten könnte. Speichelt der doch wie
das hinterletzte Ferkel neben eurem duften Schwimmbecken auf die Fliesen. Gaby
hat ihn angepfiffen.“

    Sofie verzog das Gesicht. „Hat er’s
aufgewischt?“
    „Nee. Der verläßt sich drauf, daß seine
Spucke vom nächsten Meisterschwimmer mit der nackten Sohle entfernt wird. Da
kann’s wirklich einer Kanalratte grausen. Wer draußen ungeniert spuckt, wie
wird der sich erst benehmen, wenn er bis zu den Kiemen ins Wasser taucht.“
    Sofie lächelte gequält und verwies
darauf, daß der Schwimmbeckeninhalt chemisch behandelt und absolut ungefährlich
sei. Dann wollte sie wissen, um welchen Typ es sich handele.
    Sie beschrieben Breitgesicht.
    „Natürlich!“ rief Sofie. „Der! Ihr
meint Gus Uckmann. Das ist der, von dem ich eben sprach. Er und Heyse könnten
charakterlich Zwillinge sein. Uckmann kommt übrigens aus eurer Heimat. Ich
meine, aus derselben Stadt. Ich...“
    Das Telefon zirpte. Tatsächlich war die
Glocke kolossal leise gestellt.
    Sofie sprach nicht zu Ende, sondern
nahm den Hörer ans Ohr.
    „Tyroler Hof, Grüß Gott!“
    Sie lauschte, hob erstaunt die Brauen
und sah das Pärchen bedeutungsvoll an.
    „Einen Moment, bitte“, erklärte sie dem
Anrufer, „ich will sehen, ob ich Kommissar Glockner finde.“
    „Er ist im Restaurant — mit deinem
Vater“, Tarzan stand schon auf den Sohlen und düste zur Tür. „Wohin legst du
das Gespräch?“
    „Kabine eins in der Halle“, Sofie hatte
eine Hand über die Sprechmuschel gedeckt. „Es ist jemand vom Polizei-Präsidium
in eurer Stadt.“
    Au Backe!

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