Die Entfuehrung
Scheißkoffer.«
»Wer? Wer wollte ihn?«
Seine Lippen zitterten. Er fing an, die Augen zu verdrehen.
»Verdammt noch mal, sag's mir! Wer hat dich geschickt? Wer wollte den Koffer?«
Sein Kopf rollte zur Seite.
Sie umklammerte seine Jacke, aber er war tot. Übelkeit stieg in ihr auf, und sie hatte einen bitteren Geschmack im Mund. Sie erhob sich langsam, ohne das warme Blut auf ihren Händen und Kleidern zu bemerken. Sie wandte sich zu dem FBI-Agenten um, der die beiden anderen in Schach hielt. Die Wut stand ihr ins Gesicht geschrieben.
»Ich möchte mit den beiden Jungs reden«, sagte sie mit zusammen gepressten Zähnen.
46
Die FBI-Agenten benötigten fast zwanzig Minuten, um die beiden überlebenden Gangmitglieder aus der U-Bahn nach oben zu bringen. Dass der Zug mitten im Tunnel zwischen zwei Stationen gehalten hatte, machte die Aufgabe noch schwieriger. Der Bahnhof Forest Glen war als Tatort eines Verbrechens geschlossen und abgesperrt worden. Das zwang die Medienleute und andere Schaulustige, außerhalb, an dem mit einem Maschendrahtzaun abgesperrten Parkplatz, zu warten. Allison hoffte, dass sie zum FBI-Kleinbus gelangen könnte, ohne erkannt zu werden, aber einige Passagiere im Zug hatten bereits bestätigt, dass sie beteiligt gewesen war. Als sie den Bahnhof verließ, gab es einen Aufruhr unter den Medienleuten. Mit ihren Camcordern holten sie sie über eine Entfernung von dreißig Metern ganz nah heran, und mit ihren Teleobjektiven schossen sie Fotos von ihr. Reporter riefen endlos Fragen, aber es war die pure Kakophonie.
Allison verschwand schnell im Einsatzwagen des FBI. Ein zweiter Kleinbus transportierte die Verdächtigen und die Beamten, die sie festgenommen hatten. Eine Motorradstaffel der Polizei begleitete die Fahrzeuge mit heulenden Sirenen zurück ins FBI-Hauptquartier. Allison konnte die Fahrt ihres rasenden Konvois auf einem Fernseher hinten im Bus live mitverfolgen. Die Luftaufnahmen wurden im ganzen Land ausgestrahlt. Ihr blieb das Herz stehen, als die Berichterstattung überschwenkte zu eben erst aufgenommenem Bildmaterial, das sie beim Verlassen des Bahnhofs zeigte. Ihre Haare waren zerzaust. Die Blutflecken auf ihrem Mantel waren deutlich zu sehen. Sie sah aus wie die Überlebende eines Luftangriffs. An dieser Stelle wurde der Film angehalten, als der Nachrichtensprecher eine Sendepause ankündigte.
»Wenn wir wieder zurück sind, werden wir weiter über die Entführung von Kristen Howe und die fehlgeschlagene Rettungsaktion berichten, die zum bisher unbestätigten Tod von mindestens einem Jugendlichen geführt hat. Bleiben Sie dran.«
Es folgte Werbung. Allison schloss verzweifelt die Augen
Sie hätten genauso gut sagen können, sie hätte persönlich einem Pfadfinder eine Pistole an den Kopf gesetzt und abgedrückt. Sie stellte den Fernseher ab, zog ihren blutverschmierten Mantel aus und reichte ihn dem Agenten auf dem Vordersitz. »Hier«, sagte sie zynisch. »Beweisstück A für meinen Lynchprozess vor dem Kongress.« Sie griff zum Telefon und rief Peter an, der im Keller des Justizministeriums wartete, um ihm zu sagen, dass sie unverletzt war. Wie zu erwarten, hatte er die ausführliche TV-Berichterstattung verfolgt. »Hast du das Geld noch?« waren seine ersten Worte. »Ja«, antwortete sie ein bisschen bestürzt über seine Prioritäten. »Und nebenbei, mir geht's gut.« »Entschuldige, Liebling. Im Fernsehen sahst du gut aus. Ich habe bloß den Koffer nicht gesehen.« »Das FBI hat ihn zusammen mit den Verdächtigen sichergestellt. Wir fahren jetzt alle zum Hauptquartier.«
»Das ist ja direkt gegenüber. Wir sehen uns dort.«
»Peter, ich glaube, du bleibst besser, wo du bist. Eine Meute von Reportern lauert draußen am Justizministerium. Ich möchte nicht, dass du dich mit denen herumschlagen musst.«
»Also gut, ich werde hier warten. Ich liebe dich.«
»Ich liebe dich auch.«
Sie legte auf und wählte dann die Nummer von Harley Abrams in der Einsatzzentrale. Sie sprachen miteinander, als ihr Kleinbus entlang der Georgia Avenue über die roten Ampeln ins Herz des Justizdistrikts raste.
»Wenn Nashville der erste Fehlschlag war, Harley, dann ist das hier eindeutig der zweite.«
»Tut mir leid, Allison. Gott sei Dank sind Sie unversehrt. Sollten Sie nicht besser ins Krankenhaus gehen? Oder soll ich vielleicht einen Arzt rufen, der Sie untersucht, wenn Sie hier sind?«
Seine Sorge um ihre Sicherheit milderte ihre Reaktion ein bisschen, wenn auch nicht völlig.
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