Die Entfuehrung
LaBelle?«
»Wo um alles in der Welt haben Sie eigentlich diese Idee her?«
»Eine Menge Kleinigkeiten. Und die summieren sich alle zu einer Sache. Mein Vater würde alles tun, um zum Präsidenten gewählt zu werden.«
»Das ist absurd. Wenn das stimmte, warum sollte er dann jemanden anheuern, um seine Enkelin zu entführen? Wäre es dann nicht leichter, jemanden anzuheuern, der Allison Leahy das Gehirn wegpustet?«
»Zum einen wäre das zu offensichtlich. Die Wähler würden sofort vermuten, dass Leute aus seinem Wahlkampf dahinter stünden. Aber darüber hinaus kennen Sie ja meinen Vater, und dann wissen Sie auch, dass er keinen Sieg über eine tote Gegnerin will. Er will ein Mandat. Er will zum Präsidenten gewählt werden, selbst wenn er dafür seine eigene Enkelin töten muss - er will gewinnen, Hauptsache, es sieht so aus, als hätte er den Sieg fair und sauber errungen.«
»Sie sind eine Psychopathin, wissen Sie das, Mädel?«
»Kann sein. Aber wenn meine Tochter bis morgen früh nicht zu Hause ist, geht diese Psychopathin zum Fernsehen und sagt allen, was sie glaubt, was wirklich passiert ist.«
Seine Augen funkelten. »Ihr Dad hat recht. Sie machen nichts als Ärger.«
»Ich habe Ihnen diesen Ärger nicht eingebrockt. Das waren Sie.«
»Schwachsinn. Sie haben ein Gespräch aus dem Zusammenhang gerissen, um Ihren Vater zu erpressen. Er soll alles Nötige unternehmen, um Ihre Tochter vor der Wahl nach Hause zu schaffen. Er hätte Sie mit vor die Tür nehmen und diesen Blödsinn aus Ihnen heraus prügeln sollen. Aber er ist ein so ehrenhafter Mann, dass er sich sogar bereit erklärt hat, eine Million Dollar aufzutreiben. Das ist ein reichlich großzügiger Schritt. Vielleicht hilft es ja auch, Kristen zurückzubekommen. Aber ich will ganz offen mit Ihnen reden. Sie und Ihre Drohungen verletzen neben Ihrem Vater noch eine Menge anderer Leute - Leute, denen Ihre Tochter und Sie bis heute ziemlich leid getan haben. Aber wenn Sie uns dazwischenfunken, dann ist es vorbei mit dem Mitgefühl.« »Wagen Sie nicht, meiner Tochter zu drohen.« »Das tue ich nicht«, sagte er mit eiskaltem Blick. »Ich drohe Ihnen.« Er lehnte sich zurück und schaltete den Motor ab, so dass das Wasser zwischen ihnen ruhig wurde.
Jede Menge Pendler waren an den Bahnhöfen zwischen Judiciary Square und Forest Glen ein- und ausgestiegen. Allison hatte auf dem dritten Sitz von hinten auf der rechten Seite Platz genommen. Sie konnte den ganzen Wagen gut überblicken. Die meisten Plätze waren besetzt, nur einige wenige waren frei. Die Passagiere stellten die übliche Washingtoner Mischung dar. Kauflustige mit Paketen aus den Innenstadtgeschäften. Jugendliche in ausgebeulten Hosen und mit Kopfhörern, aus denen deutlich Rapmusik zu vernehmen war. Geschäftsleute, die in der Washington Post oder im jüngsten Enthüllungs-Bestseller irgendeines gestürzten Politikers lasen.
Allison beobachtete alles unauffällig durch die Sonnenbrille. Sie hatte keine Ahnung, an welchen der Passagiere sie sich später vielleicht erinnern müsste, deshalb machte sie es sich zur Aufgabe, sich alle einzuprägen, und merkte sich von jedem ein besonderes Merkmal - die Spalte im Kinn, die Warze auf der Hand. Schließlich wanderten ihre Augen ans Ende des Wagens zurück, zu dem obdachlosen Burschen im zerschlissenen Armeemantel, der auf den für Behinderte reservierten Sitzen schlief.
Sie nahm an, dass die FBI-Leute inzwischen auch irgendwo im Zug waren oder zumindest im Bahnhof Forest Glen. Die Funkverbindung war jedenfalls unterbrochen, seit Allison den Zug bestiegen hatte. Sie vermutete, dass sie zu tief unter der Erde war. Oder vielleicht hatte Harley auch aufgehört, es zu versuchen, aus Angst, beim häufigen Wechseln der Frequenzen eine zu erwischen, die auch die Entführer leicht empfangen konnten.
Zwischen zwei Bahnhöfen legte der Zug im langen, dunklen Tunnel an Geschwindigkeit zu. Allison studierte den Plan mit dem Liniennetz oberhalb der Fenster. Forest Glen war der nächste Bahnhof. Wie Harley ihr erklärt hatte, die am tiefsten gelegene Station im Metro-System. Die Fahrt ging abwärts. Sie konnte es spüren. Einundzwanzig Stockwerke unter die Erde. Siebzig Meter Erde und Beton. Eine Million Dollar Lösegeld im Koffer neben ihr. Ein Entführer, der im nächsten Bahnhof wartete. Ein Mörder, der vielleicht neben ihr saß.
Sie haben Reggie Miles getötet, rief sie sich in Erinnerung. Sie umklammerte den Koffer und hielt den Atem an.
Einer der
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