Die Entfuehrung
Freizeitkleidung nicht unbedingt fehl am Platz. Einige Gäste waren todschick angezogen, viele von ihnen wurden vom Personal höflich mit Namen angesprochen. Andere hatten offensichtlich die preiswerten Zimmer angemietet, die seit der Zeit, als Truman Präsident war, nicht mehr renoviert worden waren. Das Spektrum der Besucher war weit gefächert und sorgte für eine lebendige und geschäftige Lobby.
Allison ging zielstrebig auf das große Treppenhaus zu. Sie stieg bis ins Hochparterre hinauf, wo die Independance Bar über der Haupthalle thronte. Die Bar war nicht eigentlich ein Raum, eher ein offener Bereich, der von den Verkehrswegen durch eine Reihe von Topfpflanzen und eine zwischen Messingstangen befestigte Samtkordel abgetrennt war. Am hinteren Ende der Bar befand sich eine lange Mahagoni-Theke. Davor standen kleine Cocktailtische. Zwei japanische Geschäftsleute rauchten Zigarren und tranken Wein. Ein altes Paar starrte ins Leere und knabberte Nüsse, offenbar hatten sie sich nichts mehr zu sagen. Allison fasste einen kleinen runden Tisch in der Nähe des Messinggeländers ins Auge - wie ihr der Anrufer aufgetragen hatte. Auf dem Tisch stand ein »Reserviert«-Schildchen.
Allison ging zum Kellner. »Entschuldigen Sie, ist dieser Tisch da hinten für mich reserviert?«
»Sind Sie Emily Smith?«
Sie riss sich zusammen und erinnerte sich an ihr Alias. »Ja.«
»Er ist für Sie reserviert.«
»Wer hat ihn reserviert?«
Er sah sie merkwürdig an, als wenn sie es eigentlich wissen müsste. »Ein weißhaariger Mann in einem Anzug. Er hat mir zwanzig Dollar gegeben, damit ich den Tisch für Emily Smith freihalte. Ich habe seinen Namen nicht verstanden.«
Sie wollte noch mehr Einzelheiten wissen, aber sie hatte Harleys Stimme in ihrem Kopfhörer. »Übertreiben Sie es nicht, Allison. Am Ende schöpft er noch Verdacht. Nehmen Sie den Tisch einfach.«
»Kann ich Ihnen was zu trinken bringen«, fragte der Kellner.
»Nein, danke, ich warte«, sagte sie und setzte sich an den Tisch.
Es war einer der besten Tische, soweit man das bei Bartischen sagen kann. Er grenzte direkt an das glänzende Messinggeländer, so dass man wie auf einem Balkon saß. Allison hatte von hier oben einen guten Blick auf die gesamte Lobby im Parterre, die Treppe und die Aufzüge. Vom Hochparterre aus konnte sie das Restaurant am Ende des Flurs und die Doppeltüren sehen, die zu den Zimmern des ersten Stocks führten. Der Tisch war abgelegener als die meisten anderen, er war auf drei Seiten von riesigen Pflanzenkübeln umgeben. Allison saß in einem Ledersessel mit dem Rücken zur Bar
Ihre Augen wanderten zwischen der Lobby und der Treppe hin und her.
Der Kellner brachte ein Telefon an ihren Tisch. »Für Sie, Miss.«
Sie wartete, bis er wieder hinter der Bar stand, dann nahm sie das Gespräch entgegen. »Ja?«
»Sehen Sie den Pflanzenkübel, der am nächsten zum Geländer steht? Da drin liegt ein Fahrrad-Spiralschloss.«
Sie drehte sich unauffällig um und schaute hin. »Ja, ich sehe es.«
»Nehmen Sie es heraus. Schlingen Sie es um den Aktenkoffer und durch den Griff. Aber stecken Sie es noch nicht zusammen.«
Sie folgte den Anweisungen. Das Spiralschloss passte genau um den Aktenkoffer. »Fertig.«
»Jetzt stellen Sie den Koffer neben ihre Füße unter den Tisch und befestigen ihn am Geländer.«
»Ich lasse doch nicht eine Million Dollar in der Bar.«
»Klicken Sie das Schloss ein. Niemand außer mir kann es öffnen oder wegnehmen.«
»Woher soll ich wissen, dass Sie ihn nicht wegholen, bevor ich die Mädchen bekomme?«
»Weil Sie nirgendwo hingehen werden. Sie bleiben genau da sitzen und warten ab, was passiert. Und jetzt hören Sie auf, Zeit zu schinden. Befestigen Sie das Schloss am Geländer.«
Es lief ihr kalt den Rücken hinunter. Was hatte er vor -wollte er am Tisch gegenüber Platz nehmen?
Sie schob den Koffer unter den Tisch, führte das lose Ende der Spirale um das Geländer und ließ das Schloss zuschnappen. »Okay. Es ist abgeschlossen. Und wann bekomme ich die Mädchen?«
»Eins nach dem anderen. Zuerst Kristen.
»Und was ist mit Emily?« fragte sie gereizt.
»Kristen wird Ihnen sagen, wie Sie Emily finden.«
»Wo ist sie?«
» Bleiben Sie sitzen, und behalten Sie die Treppe im Auge.«
59
Tony Delgado umklammerte den Pieper - und zwar buchstäblich. Das Abpassen des genauen Zeitpunkts war entscheidend. Er musste den Moment erwischen, in dem der Pieper anfing zu vibrieren - das war das Signal, das ihm
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