Die Entfuehrung
Verlassen das Fahrzeug.« Nach einer kurzen Pause kam eine knappe Bestätigung aus dem knisternden Funkgerät. »Gehen wir«, sagte er zum General.
Der Agent geleitete ihn die Stufen hinauf zur Doppeltür unter dem Eingangsgewölbe im romanischen Stil. Er zog an einer Tür. Verschlossen. Er versuchte es bei der anderen. Ebenso verschlossen.
»Entschuldigen Sie, Sir. Aber wir sind spät dran.«
Enttäuscht wandte Howe sich um und ging langsam zum Wagen zurück. Abgrundtiefe Traurigkeit überkam ihn. Es war schon schlimm genug, dass sich seine Tochter von ihm abgewandt hatte. Aber hatte Gott Seine Türen verschlossen?
Nebeneinander gingen sie die vorderen Stufen der Kapelle hinunter, als der Agent plötzlich stehenblieb. Mit bestürzter Miene nestelte er an seinem Kopfhörer.
Der General sah ihn besorgt an. »Was ist los?«
»Taucher haben im Fluss eine Leiche gefunden. Sie ist noch nicht identifiziert. Sie wird gerade geborgen.«
Howe bekam einen trockenen Mund. »Wo?«
»Südlich der Jefferson Street Bridge.
Er fühlte sich plötzlich wie benommen. »Wir fahren hin.« Der Agent half ihm auf den Rücksitz und stieg dann vorne ein.
Als der Motor angelassen wurde, zitterten dem General die Hände. Seine Brust verkrampfte sich. Er bekam kaum noch Luft. Dieses Gefühl hatte er erst einmal in seinem Leben gehabt, vor dreißig Jahren, als er erfahren hatte, dass sein bester Freund auf dem Ho-Chi-minh-Pfad auf eine Landmine getreten war. Er beugte sich vor und schloss die Abtrennung zur Fahrerkabine, damit der Fahrer und der Agent ihn nicht sehen konnten. Dann fiel sein Kinn auf die Brust, als er versuchte, seine Tränen zu bekämpfen.
Zuerst flössen sie langsam, dann weinte er los wie noch nie in seinem ganzen Leben. Innerhalb von Sekunden schluchzte er hemmungslos und ließ seinen über Jahre angestauten Gefühlen freien Lauf.
Hundert Meter weiter parkte in der Dunkelheit am gegenüber liegenden Ende des grasbewachsenen Campus-Karrees ein Ford Taurus, auf dessen Vordersitz ein Fotograf seine Linse fokussierte. Die Infrarotkamera durchdrang die Dunkelheit und stellte sich scharf ein auf das Gesicht des Generals, als wäre es taghell. Howe wirkte verhärmt und geschlagen, viel älter, als er war. Seine Tränen waren gut zu sehen.
Der Auslöser klickte. Ein perfekter Schuß.
Die Limousine entfernte sich von der Kapelle.
Der alte Ford raste in die entgegengesetzte Richtung, wobei er jede Sekunde an Fahrt gewann.
13
Über dem Fluss war die erleuchtete Skyline von Nashville zu sehen. Sie erstreckte sich von der Kuppel des alten traditionellen State Capitol bis zum modernen Bell South Tower, der aussah wie ein Eispalast. Die Polizei hatte ein Gebiet am Ostufer des Cumberland River abgesperrt, das im Norden von der Victory Memorial Bridge, die in die Innenstadt führte, und im Süden von der Jefferson Street Bridge begrenzt wurde - genau dieses Gebiet sollten die Taucher auf Anordnung von Harley Abrams absuchen.
Allison war sofort von der Entdeckung der Leiche in Kenntnis gesetzt worden. Sie erreichte den Schauplatz in einer FBI-Limousine um 22:20 Uhr, genau zu dem Zeitpunkt, als die Taucher die Leiche aus den Fluten bargen.
In weniger als fünf Stunden war die Temperatur auf sieben Grad unter Null gefallen. Im zuckenden gelben Licht der Notarztwagen sah man überall Polizisten und FBI-Leute herumlaufen. Schwärme von Hubschraubern - einige von den Medien, andere von der Polizei - knatterten über dem Fluss. Die Taucher hatten Schwierigkeiten, Halt zu finden, als sie die Böschung hinaufkletterten. Mitglieder der Rettungsmannschaften standen knöcheltief im Schlamm und hielten die Polypropylen-Leine, mit der der Fund an Land gezogen wurde.
Allison stand zehn Meter vom Fluss entfernt, als der Leichensack an die Oberfläche gehievt wurde. "Wasser strömte aus den Seitenöffnungen heraus. Er wirkte ein bisschen groß für eine Kinderleiche, aber sie wusste, dass eine Leiche sich nach einem Tag im Fluss aufblähen konnte.
»Es ist der Busfahrer«, sagte Abrams.
Allison zuckte zusammen. Er war plötzlich wie aus dem Nichts aufgetaucht.
»Irgendein Zeichen von Kristen?« fragte sie
»Nein.«
Sie war erleichtert und traurig zugleich. »Ich möchte, dass die Autopsie von einem erstklassigen Gerichtspathologen durchgeführt wird. Die hiesigen können dabei zuschauen.«
Er sah sie an, als wollte er sagen, dass das selbstverständlich sei. »Ich habe schon das Walter Reed Hospital angerufen.«
»In welchem Zustand
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