Die Entfuehrung
ihre Kaution für das Tatfahrzeug abholen wollten. Einen Fluchtwagen zu klauen, scheint mir dagegen nicht halb so dämlich.«
Der Detective nickte zustimmend.
»Erzählen Sie mir, was Sie über das Opfer wissen«, sagte Abrams.
»Diane Combs. Meistens hat sie als Kassiererin in einem Lebensmittelladen gearbeitet, hat sich aber auch in Prostitution versucht, wenn sie Drogen brauchte. Während der letzten sechs Jahre war sie elfmal auf Entzug. Wenn Sie mich fragen, ist sie nicht der Typ für eine so große Entführungsgeschichte.«
»Haben Sie etwas dagegen, wenn ich mich im Apartment umschaue?«
»Kommen Sie rein.« Harley folgte ihm auf dem holprigen Gehweg zur offenen Eingangstür. Ein Trupp der Spurensicherung untersuchte den Teppich und die Möbel im Wohnzimmer. Wortlos ging Harley an ihnen vorbei in die Diele und von da aus direkt zum Schlafzimmer. In der Tür blieb er stehen.
Diane Combs Leiche lag immer noch ins Betttuch gehüllt auf dem Boden. Ihre Umrisse waren mit Kreide markiert. Ihre offenen Augen begannen infolge des Flüssigkeitsverlusts trüb zu werden. Aus dem Loch in der Stirn war Blut über ein Auge gequollen und hatte einen dunkelroten Fleck auf dem Teppich gebildet. Es fiel Harley auf, dass das Blut noch nicht völlig getrocknet war. Er kniete sich neben die Leiche und legte die Rückseite seiner Hand an ihre Wange. Sie war noch warm. Ihr Kopf ließ sich noch bewegen, die Totenstarre hatte noch nicht eingesetzt. Er schloss daraus, dass sie höchstens seit drei Stunden tot war. Der Mörder konnte noch nicht sehr weit sein.
Harley erhob sich. »Irgendein Zeichen eines Kampfes oder eines Einbruchs?«
» Nichts «, sagte Wyatt.
Harley ging zum Bett und drückte auf die Matratze. Sie war weich. Sein Handabdruck war zu sehen. Er kniete nieder, so dass seine Augen auf einer Höhe mit der Matratze waren.
»Man kann noch Abdrücke auf beiden Seiten des Bettes sehen. Sieht so aus, als hätten hier letzte Nacht zwei Personen geschlafen.« Er erhob sich, sah erst zum Opfer, dann zu Wyatt. »Die eine von den beiden kennen wir jetzt. Finden Sie heraus, wer die andere ist, und Ihr Mord ist gelöst. Und vielleicht meine Entführung auch.« »Was vermuten Sie?« fragte Wyatt.
»Bisher sind wir davon ausgegangen, dass diese Entführung von gewieften Gangstern gut geplant was- Aber vielleicht war es auch nur der spontane Einfall eines mickrigen Verlierertyps, der einen Joint raucht, ein Auto klaut, schließlich durchknallt und sich einbildet, endlich mal wer zu sein, indem er ein ganz großes Ding dreht und die Enkelin von General Howe entführt. Vielleicht ist Ms. Combs eine alte Freundin von ihm. Er kommt hier nachts an, bringt Kristen mit rein und glaubt, er kann die Dame beeindrucken. Stattdessen flippt sie aus und will nichts damit zu tun haben. Er flippt seinerseits über ihre Reaktion aus und legt sie um. Natürlich spekuliere ich hier nur. Aber ich würde gerne unsere Spurensicherung herholen, um Ihnen zu helfen. Zum Glück war Kristens Mutter so vorausschauend, von ihrer Tochter eine DNA-Analyse machen zu lassen. Uns würde ein einziges Haar von Kristen genügen, um festzustellen, ob sie hier gewesen ist oder nicht. Außerdem möchte ich sichergehen, dass wir jedes Fitzelchen Beweismaterial einsammeln, das denjenigen identifizieren könnte, der Ms. Combs die Kugel in den Kopf gejagt hat.«
»Hört sich an, als könnte das der entscheidende Durchbruch sein, auf den Sie warten.«
»Das wollen wir hoffen«, sagte Abrams. »In diesem Geschäft bleibt keine Zeit für Sackgassen.«
Bis Mittwoch Nachmittag hatte sich Natalie Howe in der Küche ihrer Tochter zurechtgefunden. Sie machte gerade Tee für Tanya und die drei FBI-Agenten aus Nashville, die das Haus bewachten, als es an der Tür klingelte. Tanya erhob sich von ihrem Fernsehsessel, aber einer der Agenten hielt sie auf.
»Lassen Sie zuerst mich nachsehen«, sagte er.
Tanya ging zurück zum Fernseher. Sie klebte förmlich an CNN, das anstelle der Wahlberichterstattung ständig Nachrichten über den Entführungsfall lieferte.
Der Agent lugte durch den Spion. Ein weißer Lieferwagen mit dem vertrauten blau-roten FedEx-Logo parkte am Bordstein. Vor der Tür stand eine Zustellerin. Über sein Handy rief der Agent die FedEx-Zentrale an, um sich die Lieferung bestätigen zu lassen. Als alles klar war, öffnete er die Tür.
»Ich habe einen Brief für Lincoln oder Natalie Howe.«
»Wir nehmen es an«, sagte der Agent. Er unterschrieb und schloss
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