Die Entfuehrung
Reggie Miles wollte er nicht erleben. »Nein, Honey, ich habe keine Wahl.
Weinend fiel sie auf die Knie und flehte ihn an: »Johnny, ich schwör's dir. Ich sage nichts. Zu niemandem. Nie.«
Er kniff ein Auge zu und zielte auf ihre Stirn. »Ich weiß«, sagte er und drückte ab.
18
Harley Abrams traf kurz vor 15:00 Uhr in Philadelphia ein. Es war seine Idee gewesen, eine landesweite Fahndung einzuleiten nach allen Fahrzeugen, die während der vergangenen Woche in Nashville gemietet oder gestohlen worden waren. Da alle Polizeidienststellen einbezogen waren, hatte es weniger als vierundzwanzig Stunden gedauert, bis die betreffenden Fahrzeuge geortet waren. Aber nur eine einzige Spur hatte zur Wohnung eines Mordopfers geführt. Das erschien Harley eine Fahrt dahin wert.
Eine junge Agentin des FBI-Außendienstes in Philadelphia holte ihn am Flughafen in einem viertürigen Ford Mercury ab, einem typischen »Bucar«, wie das FBI seine Fahrzeuge bezeichnete. Harley saß gedankenversunken auf dem Beifahrersitz und kritzelte Notizen auf einen Schreibblock, während sie die Schnellstraße entlangfuhren. Als sie in der Nähe der Innenstadt abbogen, blickte er mit dem Stift in der Hand kurz auf.
»Ich möchte keine Schwierigkeiten haben bei der Sicherstellung von Beweismitteln in diesem Apartment«, sagte er. »Sehen Sie irgendwelche Probleme mit dem Durchsuchungsbefehl, den wir der Polizei von Philadelphia geschickt haben?«
Sie zuckte die Schultern und hielt ihren Blick auf die Straße gerichtet. »Unser stellvertretender U.S.-Staatsanwalt sieht jedenfalls kein Problem. Die Streife hat das Kennzeichen überprüft und festgestellt, dass der Wagen zwei Stunden nach der Entführung Kristen Howes als gestohlen gemeldet wurde. Die Polizei hat den Vermieter kontaktiert und herausgefunden, dass der Parkplatz auf Diane Combs aus Apartment zwei-null-eins angemeldet war. Sie haben geklopft, niemand hat aufgemacht. Sie haben bei ihrer Arbeitsstelle angerufen und festgestellt, dass sie heute Morgen nicht erschienen ist. Sie hat sich nicht krank gemeldet, nichts. Nach meiner Meinung deutet alles auf einen plausiblen Grund. Offensichtlich sieht der Richter es genauso, sonst hätte er nicht den Durchsuchungsbefehl erlassen.«
Harley nickte zufrieden.
Sie bogen in die Einfahrt zu den Chestnut-Apartments ein, einer langgestreckten Anlage zweigeschossiger, beige angestrichener Sozialbauten mit roten Schindeldächern. Ein Zaun umgab den Komplex, aber es gab kein Sicherheitstor. Heute Nachmittag war allerdings eine Wache am Eingang postiert. Harley kurbelte das Fenster herunter und wies sich aus.
»Ich suche Detective Wyatt«, sagte er.
Der Wachmann wies ihnen den Weg und teilte den am Tatort ermittelnden Beamten telefonisch Abrams' Ankunft mit.
Gaffer hatten sich auf dem Parkplatz eingefunden, und ein Polizeibeamter machte den Weg für das FBI-Fahrzeug frei. Sie parkten an der gelben Polizeiabsperrung in der Nähe eines Wagens mit der Aufschrift »Gerichtspathologe«. Drei Streifenwagen und zwei Zivilfahrzeuge standen im Halbkreis um den gestohlenen 97er Chevy Camaro mit Kennzeichen aus Tennessee. Die Spurensicherung untersuchte den Wagen auf Fingerabdrücke und Stoffasern an Sitzen und Teppichboden. Zwei Männer von der Gerichtspathologie schoben eine Bahre durch die offene Tür ins Apartment 201.
Harley stieg aus dem Wagen und knöpfte sich die Jacke zu.
Er hatte eher das Gefühl, dass Januar war und nicht Novem
ber. Ein großer Schwarzer in einem abgetragenen braunen Trenchcoat und mit Dreitagebart trat auf ihn zu. »Detective Wyatt«, stellte er sich vor. »Mordkommission.« »Harley Abrams, FBI. Ich bin der leitende Inspektor im Entführungsfall Howe.«
»Ich kenne Sie. Was kann ich für Sie tun?«
»Ich versuche, unsere Arbeit zu koordinieren. Ich weiß, dass Mord in Ihren Zuständigkeitsbereich fällt, aber es könnte sein, dass dieser Tatort einige Beweismittel hergibt, die für uns wichtig sind.«
Wyatt verzog das Gesicht. »Glauben Sie, dass die Leute, die die Entführung von Lincoln Howes Enkelin durchgezogen haben, tatsächlich so dämlich waren, einen Fluchtwagen in Nashville zu stehlen, um damit bis hinauf nach Philly zu fahren?«
»Bei so großen Verbrechen werden diese Typen häufig tollkühn. Sie glauben, sie werden ohnehin nicht geschnappt, egal, was sie anstellen. Vor sechs Jahren haben wir die Bombenleger vom World Trade Center nur deshalb schnappen können, weil sie zu dem Autoverleih gegangen sind und sich
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