Die Entfuehrung
heraufbeschworen. Mir hat sich die Frage aufgedrängt, wieso sie ein Baby adoptiert hat. «
Sie sah wieder zum Fenster hinaus und bewunderte die Wolken. Dann sah sie Harley an. »Ich würde Ihnen jetzt gerne erzählen, dass mich edle und selbstlose Beweggründe dazu bewogen haben. Dass ich ein Drogenbaby aufziehen oder ein geschlagenes Kind vor weiterem Missbrauch retten wollte. Die Wahrheit aber ist, dass ich ein Kind adoptiert habe, weil ich eins haben wollte.«
»Aber wie haben Sie es geschafft, die Adoption tatsächlich durchzusetzen?«
»Ich war mit Mitch verlobt, als ich mich für eine Adoption entschieden habe. Wir sprachen darüber, und ich habe ihm erzählt, dass ich nie eigene Kinder bekommen würde. In meiner Familie gibt es Polyzystitis, eine Nierenfehlbildung, und wir haben davon erst erfahren, als sie bei meinem Bruder während seiner Ehe festgestellt wurde. Sein Sohn hatte sie und ist daran gestorben. Es gibt dafür keine Prophylaxe, und sie führt in der Regel zum Tod, wenn sie sich während der Kindheit entwickelt. Und ich wollte nicht das Risiko eingehen, sie meinem eigenen Kind weiterzuvererben. Außerdem wusste ich, dass es lange dauern konnte, ein Neugeborenes zu adoptieren. Deshalb habe ich mich in eine Warteliste eintragen lassen, noch bevor es überhaupt einen Hochzeitstermin gab.«
»Und Sie haben weiterhin an der Adoption festgehalten, auch nachdem die Verlobung schon gelöst war.«
»Zu der Zeit, als ich mich von Mitch getrennt habe, war ich seelisch längst auf ein Baby eingestellt. Ich war neununddreißig Jahre alt. Ich hatte den ganzen Ärger und die Kosten, die mit der Vorbereitung einer Adoption verbunden sind, schon hinter mir, und ich konnte es kaum erwarten, Mutter zu werden. Ich dachte mir: Warum jetzt aufgeben? Meine Mutter hat meinen Bruder und mich ohne Vater großgezogen. Das würde ich doch auch können.«
»Klingt logisch«, sagte er und kratzte sich am Kinn wie Sigmund Freud höchstpersönlich. Sein Blick wandte sich wieder den Notizen auf seinem Schoß zu.
»Jetzt bin ich dran«, sagte Allison.
»Womit sind Sie dran?«
»Halten Sie das hier etwa für eine gerichtlich angeordnete Vernehmung, oder was? Glauben Sie, Sie sind der einzige, der hier Fragen stellen darf?«
Er grinste. »Was möchten Sie wissen?«
»Etwas, das ich mich schon öfter gefragt habe. Es ist interessant, dass Sie mich als jemand sehen, der zu sehr eingebunden ist in seine Karriere, um Kinder zu haben. Was ist mit Ihnen? Ein Mann, der eine Karriere macht als Jäger von Kindesentführern, selbst aber keine Familie hat. Führt diese Art von Arbeit dazu, dass Sie keine Kinder haben wollen? Oder hat es sich einfach nicht ergeben?«
»Bei einigen der Profiler oben in Quantico ist das tatsächlich so. Sie sehen zu viel. Bei mir ist die Sache an was anderem gescheitert.« Sein Blick ging ins Leere. »Ich war mal verheiratet. Das ist lange her. Wir wollten Kinder haben. Es hat einfach nicht geklappt.« »Das tut mir leid.«
»Danke. Das ist alles, was man dazu sagen kann. Es hat mich immer geärgert, wenn unsere Freunde uns mit dem Herunterbeten von Statistiken beruhigen wollten. Nach der ersten Fehlgeburt meiner Frau erzählten sie Sachen wie: Wusstet ihr schon, dass sechzig Prozent aller Frauen eine Fehlgeburt haben? Großartig. Ich stelle mir vor, dass das dieselben Leute sind, die auf Beerdigungen zu den trauernden Witwen gehen und sagen: Es tut uns leid um Ihren Gatten, Mrs. Jones, aber wussten Sie schon, dass hundert Prozent der Menschen auf der Welt irgendwann tot umfallen? Als wenn man sich dadurch besser fühlen würde.«
Allison nickte. Das konnte sie nachempfinden. »Und Sie haben nie eine Adoption in Erwägung gezogen?«
»Haben wir, aber unsere Ehe ging nicht gut. Als wir geheiratet haben, war sie neunzehn und ich zwanzig. Während ich bis zum Hintern in vietnamesischen Reisfeldern versank, geriet ihr Herz auf Abwege. Ich habe mich scheiden lassen -mein Gott, wie lange das her ist. Mehr als zwanzig Jahre.« »Haben Sie nie eine andere gefunden?« »Also, das wird ja jetzt sehr persönlich.« Sie wurde rot. »Entschuldigung, Sie müssen ja nicht antworten. «
»Nein, ich glaube, es macht mir nichts aus.« Er schwieg einen Moment und lächelte schwach. »Ich habe immer gedacht, irgendwann würde ich wieder jemand kennenlernen. Ich war wirklich fest davon überzeugt. Als mein Vater vor einigen Jahren an Krebs erkrankt ist, bekam ich Depressionen bei dem Gedanken, dass, wenn ich
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