Die Entfuehrung
nicht, dass sich hier irgend jemand einmischt, der irgendwelche eigenen Ziele verfolgt. Für mich zählt allein, Kristen wohlbehalten zurückzubekommen.«
»Das sehe ich auch so. Hier geht es ja nicht darum, der einen Tochter den Vorrang vor der anderen zu geben. Sie sollten es als Möglichkeit begreifen, uns gegenseitig zu helfen. Wenn die beiden Entführungen zusammenhängen, muss man auch beide gemeinsam betrachten. Der Zusammenhang könnte darin bestehen, dass Kristen aus dem gleichen Grund entführt wurde wie Emily vor acht Jahren - um mich zu treffen. Mr. Abrams glaubt nicht, dass mein Baby von jemandem geraubt worden ist, der ein eigenes Kind wollte oder es mit Gewinn verkaufen wollte. Da gäbe es leichtere Möglichkeiten, als in ein Haus einzubrechen - ein Neugeborenes stiehlt man zum Beispiel im Krankenhaus. Und wenn man sich Kristens Entführung ansieht, könnte man auf die Idee kommen, dass da jemand Ihrem Vater helfen will, die Wahl zu gewinnen. Aber man könnte genauso gut sagen, da will jemand, dass ich verliere. Auf jeden Fall wollen die Entführer das Lösegeld jetzt von mir haben, und das verstärkt noch den Eindruck, dass da eine Verbindung besteht.«
Tanya hatte wieder diesen Gesichtsausdruck - als wollte sie eigentlich etwas sagen. Aber sie verharrte schweigend. Diesmal ging Allison darauf ein. »Sie wirken aufgewühlt, Tanya. Ist etwas an meiner Theorie, das Sie anders sehen?«
Tanya wandte ihren Blick ab und stieß einen tiefen Seufzer aus. »Ja, es ist diese ganze Theorie über die Beweggründe von Kristens Entführung - dass Sie damit getroffen werden sollen, anstatt dass das meinem Vater nützen soll.«
»Schätzen Sie es nicht so ein?« fragte Allison.
Tanya schloss ihre Augen, als hätte sie plötzlich starke Schmerzen. »Ich weiß nicht.«
Allison beugte sich vor und fragte mit sanfter Stimme: »Tanya, was bedrückt Sie?«
Ihre feuchten Augen glitzerten. »Ich überlasse es Ihnen, sich über Motive Gedanken zu machen. Aber Sie sollten alle Tatsachen kennen.«
»Gibt es noch etwas, das Sie mir erzählen möchten?«
Sie nickte. »Es hat mit Kristens Vater zu tun.«
Allison lehnte sich zurück und hörte zu. »Erzählen Sie weiter. «
»Also, Kristen wurde geboren, als ich noch auf dem College war. Ich war nicht verheiratet. Aber ich war total verliebt. Er hieß Mark. Mark Buckley.«
»War er der Vater von Kristen?«
Sie kaute auf ihrer Lippe und nickte. »Als ich schwanger wurde, wollte er mich heiraten. Ich habe darüber nachgedacht und sprach mit meinen Eltern. Meine Mutter hat mich unterstützt, aber mein Vater ist ausgerastet. Obwohl er draußen im Wahlkampf gegen die Abtreibung redet, hat er mich praktisch ins Auto geworfen, um mich zur Klinik zu fahren.«
»Ich nehme an, er konnte Mark nicht leiden.«
»Er hat Mark nicht einmal gekannt. Er hat ihn nie gesehen.«
»Und wo lag das Problem?
Ihre Lippen bebten. »Mark war ein Weißer.« Plötzlich schien sich im Raum Kälte auszubreiten. Allison bewegte sich nicht. »Das war ein Problem für General Howe?« fragte sie fassungslos.
»Ich weiß«, sagte Tanya sarkastisch. »Kaum zu glauben, oder? General Howe, Mister Opportunismus persönlich. Kann sich nicht damit anfreunden, dass seine Enkelin eine halbe Weiße ist. Hat ihr nie ein Weihnachtsgeschenk geschickt. Nie eine Karte zum Geburtstag. Für ihn hat sie gar nicht existiert. Ich habe nicht mehr existiert.«
Allison seufzte und versuchte, ihre Fassung wiederzugewinnen. »Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll. Danke, dass Sie mir das alles erzählt haben. Es könnte unseren Überlegungen eine andere Richtung geben.«
»Meine sind auf jeden Fall davon gefärbt. Wenn ich sehe, wie mein Vater in den Meinungsumfragen nach oben schießt, wie er sich von ganz hinten den Weg ins Weiße Haus bahnt, dann fällt es einem schon schwer, zu glauben, dass kein Plan dahintersteckt. Als ich ihn im Fernsehen gesehen habe, hätte ich ihn erwürgen können. Eine derart schamlose Ausbeutung. Das ist eine gefährliche Kombination - ein Militär in der politischen Arena. Es widerstrebt mir, das zu sagen, aber wenn man diese alte militärische Gesinnung konsequent zu Ende denkt, dann ist Kristen lediglich ein weiteres unumgängliches Opfer auf dem Weg zum Sieg. Und die Tatsache, dass Kristens Vater ein Weißer war, macht sie erst recht entbehrlich, zumindest in den Augen des Generals.«
Allisons Kehle war wie zugeschnürt. Sie konnte nicht glauben, was sie eben gehört hatte, aber vor
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