Die Entscheidung
sich auf die Ledercouch, und hob den bandagierten Hund auf ihren Schoß. „Sag’s nicht weiter, aber ich bekomme Platzangst in engen, geschlossenen Räumen.“
„Ich dachte, das Teil wäre riesig.“
Nella zuckte mit den Schultern. „Er liegt unter der Erde, mit Tonnen Gestein darüber. Mehr muss ich nicht wissen, damit mir allein bei der Vorstellung Schweiß ausbricht.“
Blanche konnte sie verstehen, sie war auch nicht gern eingesperrt. Langsam trat sie auf ihre Freundin zu und hockte sich vor sie. „Du kannst nicht mitkommen.“
Nella schluckte, Tränen schossen in ihre Augen. „Aber ich könnte helfen!“
Blanche schüttelte den Kopf und ergriff ihre Hände. „Wohin ich gehe, ist der letzte Ort, an dem du sein willst, glaube mir.“
„Warum?“, krächzte sie und klammerte sich an sie. Blanche befürchtete, dass sie ihre Blutzirkulation unterbrach, doch sie zog ihre Hand nicht zurück. Nella hatte Angst. Um sie. Irgendwie rührte sie das, und am liebsten hätte sie die Kleine in den Arm genommen und gedrückt. Was ihr ein bisschen seltsam vorkam, sie war eigentlich nicht der Knuddel-Typ.
Also unterdrückte sie den Impuls und sagte stattdessen: „Erinnerst du dich daran, wie die Rue d’Orsei verschwunden ist?“
Nella nickte und rückte ein Stück vor.
„Das war nichts im Vergleich zu dem, was heute Nacht am Gare du Nord passieren wird.“ Sie beugte sich ebenfalls vor und drückte ihre Stirn gegen Nellas. „Verstehst du? Da wird nichts übrig bleiben, also komm bloß nicht in die Nähe des Bahnhofs.“
Jetzt liefen Nellas Augen doch über, und Tränen rannen über ihre blassen Wangen. Nicht zum ersten Mal fiel Blanche auf, wie sehr sich die ehemalige Prostituierte verändert hatte. Statt tonnenweise Make-up aufzutragen, zog sie nun einen natürlichen Look vor, so, wie Enzo es am liebsten mochte. Und sie auch.
„Aber was ist mit dir?“, flüsterte sie und wischte sich mit dem Handrücken durchs Gesicht. „Wirst du auch verschwinden?“
Blanches Herz schrumpfte auf die Größe einer Erdnuss. Nie hätte sie gedacht, dass sie die kleine Italienerin einmal so ins Herz schließen würde.
„Ich werde wiederkommen“, erwiderte sie mit fester Stimme.
„Wirklich?“, fragte Nella und krallte ihre Hände in Blanches Schultern.
„Ich verspreche es. “ Ach, Scheiß drauf, dachte sie und drückte ihre Freundin fest an sich.
*
Angst schnürte Nellas Kehle zu. Angst, ihre Freundin nie wiederzusehen, Angst davor, sie für immer zu verlieren. Und die Angst, ganz allein zu sein, ohne eine Menschenseele, die sie gernhatte.
Blanche ahnte nicht, dass sie von ihren kleinen Interventionen wusste. Der halbe Klub sprach davon, dass sie Klein Enzo vor Wochen gedroht hatte, ihm ein Ei abzuschneiden, wenn er Nella gegenüber keinen Respekt zeigen würde. Sie wusste auch, dass sie Shoppen hasste, dennoch war sie mit ihr gegangen, damit sie nicht allein losziehen musste. Was nütze einem der Einkaufsspaß, wenn man ihn mit niemandem teilen konnte?
„Ich komme wieder“, flüsterte Blanche und löste sich vorsichtig.
„Und dann gehen wir zusammen … äh …“
„Ins Nagelstudio?“, schlug Blanche vor.
„Genau!“
Nachdem sie gegangen war, versuchte Nella, ihr pochendes Herz zu beruhigen. Sie wusste, dass ihre Freundin gelogen hatte. Blanche würde nicht zurückkommen, zumindest rechnete sie nicht damit. Sie hatte es in ihren Augen gesehen, in der Art, wie sie sich verabschiedete. Nagelstudio, ja klar.
Brutus fest gegen die Brust gedrückt, lief sie ins Schlafzimmer, und tat, als würde sie ihre Siebensachen zusammenpacken. Als ob sie in den Luftschutzraum gehen würde. Sie musste nachdenken, und Brutus wohliges Knurren half ihr, alle störenden Gedanken auszublenden und sich auf das Wesentliche zu konzentrieren.
Sie würde sich nicht einsperren lassen, das hielt sie nicht aus. Enge Räume nachten sie klaustrophobisch und das Wissen, dass sie tonnenweise Erde von frischer Luft trennte, half nicht wirklich.
Seit ihrem Ausflug ins Tierheim durfte sie den Klub nicht mehr allein verlassen, Enzo hatte sich in diesem Punkt klar ausgedrückt. Nach allem, was geschehen war, würde sie bestimmt nicht noch einmal ohne Begleitschutz ausrücken. Aber auf gar keinen Fall würde sie unter die Erde gehen, wie Enzo ihr heute beim Frühstück mitgeteilt hatte. Nicht mal für eine Nacht. Allein bei der Vorstellung standen ihr alle Haare zu Berge. Bunker bedeutete in diesem Fall zwar eine großzügige
Weitere Kostenlose Bücher