Die Entscheidung
Mitglieder unserer Kampagne kennenlernen. Wie klingt das für Sie?«
»Perfekt! Wann sollen wir uns treffen? Ich muss noch meine Kamera und ein paar andere Dinge auspacken und mich anziehen, aber ansonsten habe ich ab sofort Zeit.«
»Dann treffen wir uns um fünf Uhr«, schlug Aizat vor. »Haben Sie eine Kamera mit Blitz? Denn vielleicht ist es schon dunkel, wenn wir vom Dorf zurückkommen.«
Helena hatte schon mehrere solcher bezahlter VIP-Reisen mitgemacht und wusste, dass die Veranstalter ihre verwöhnten Gäste ganz gerne im Auge behielten. Denn wenn ein Journalist überfallen wurde oder betrunken in einen Abwasserkanal fiel, gab das keine gute Publicity.
Damit ihr Ausflug keine Aufmerksamkeit erregte, zog Helena Trainingshosen und Turnschuhe an und nahm nur eine Wasserflasche, ihre Kamera und Schreibzeug in einem kleinen Rucksack mit. An einem Nebeneingang, unbemerkt von den Hotelangestellten und dem malaysischen Tourismusbüro, joggte sie los.
Aizat saà kaum zweihundert Meter vom Hotel entfernt beim Wellenbrecher im Sand. Er war muskulös, gut aussehend und mit gefälschten Nikes, Cargohosen und einem Leinenhemd erstaunlich gut gekleidet. Es schien, als hätte er sich extra gut angezogen, was
Helena ein wenig enttäuschte, schlieÃlich hätte sie auf ihren Fotos gerne jemanden gezeigt, der ein wenig verzweifelter aussah.
Sie öffnete den Rucksack und nahm einen Stift und einen kleinen Notizblock heraus, um die grundlegenden Fakten zu bestätigen und festzuhalten.
»Du bist also sechzehn?«
»Jetzt siebzehn«, korrigierte Aizat sie. »Wati ist immer noch acht und meine GroÃmutter ist siebzig.«
»Gehst du in die Schule, zur Arbeit oder â¦Â«
»Wati hat einen Lehrer, der ins Dorf kommt. Ich muss arbeiten, sonst haben wir kein Geld.«
»Kyle hat gesagt, du würdest für einen Zimmermann arbeiten.«
Aizat nickte. »Ich habe jetzt auch wieder ein Boot. Damit mache ich Besorgungen und bringe Fisch oder Passagiere ans Festland.«
»War dein Boot nicht kaputt?«
»Nach der Welle haben wir es repariert, aber die Polizeischergen haben sich damit aus dem Staub gemacht. Als wir es holen wollten, war es nicht mehr da. Also hab ich jetzt ein anderes Boot.«
»Woher?«, fragte Helena und prüfte, ob ihr Aufnahmegerät lief.
»Ein paar Leute haben zusammengelegt«, erklärte Aizat vage und wechselte dann das Thema. »Wie geht es Kyle? Sehen Sie ihn öfter?«
»Seit er Anfang des letzten Monats mit mir Kontakt aufgenommen hat, haben wir uns zwei Mal getroffen«,
erwiderte Helena. »Einmal im Büro von Guilt Trips und einmal bei einer unserer Demonstrationen vor der kenianischen Botschaft. Aber er wohnt weit weg von London, und ich glaube, er ist ziemlich beschäftigt. Prüfungen, nehme ich an.«
»Kyle ist groÃartig«, fand Aizat. »Er hat mir sogar ein Arsenal-Trikot geschickt und ein paar alte FuÃballspiel-Aufzeichnungen.«
»Du hast gesagt, du hättest ein neues Boot. Hast du einen Zuschuss bekommen oder so was, um es zu kaufen?« , führte Helena ihn zu ihrer letzten Frage zurück.
»Zuschuss!«, lachte Aizat. »Das wäre schön, aber ich möchte lieber nicht über Geschäfte reden, wenn das Band läuft. Kommen Sie mit, wir gehen ein bisschen am Strand entlang, dann kann ich Ihnen zeigen, wo unsere Hütten gewesen sind.«
Kyle hatte Helena bereits erzählt, dass Aizat eine Art Commander im Dorf gewesen wäre, dennoch war sie überrascht, wie er agierte. Er sah zwar aus wie siebzehn, aber er schien viel erwachsener als die pickeligen Teenager, die sie in London dabei erwischte, wie sie sie anstarrten.
Aizat nahm einen Stock und stocherte damit im Sand herum, bis er einen zersplitterten Holzpfahl fand. »Das ist eine der Hütten gewesen, die das Baugerüst, das über den Strand gespült wurde, mit voller Wucht getroffen hatte. Zwei Babys waren darin eingeschlossen. Kyle und seine Gruppe haben geholfen, sie zu retten.«
Helena war enttäuscht. Sie hatte gehofft, von den
verlassenen Hütten andere Spuren zu finden, die etwas fotogener waren als ein zersplitterter Holzpfosten, der aus dem Sand ragte.
»Was ist das?«, fragte sie und wies auf eine graubraune Schicht, die Aizats Stock freigelegt hatte.
»Viele unserer Strände sind noch von den Schlammablagerungen bedeckt«, erklärte Aizat.
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