Die Entscheidung
»Aber da das Hotel pünktlich eröffnet werden sollte, haben sie hier nicht mehr gründlich sauber gemacht. Sie haben einfach containerweise Sand angekarrt und über die Schlammschicht gekippt. Wenn Sie mit einem Boot die Küste entlangfahren, können Sie sehen, dass der Sand hier und um das Hotel herum gelblich ist, nicht weià wie überall sonst auf der Insel.«
Plötzlich erklang von der anderen Seite des Wellenbrechers eine fremde Stimme, die einem ziemlich einschüchternden Mann in einem blauen Hemd mit Epauletten und der Aufschrift Regency Plaza Guest Security gehörte.
»Belästigt Sie dieser Gentleman?«, fragte er und musterte Aizat durch seine verspiegelte Sonnenbrille.
Helena schüttelte den Kopf und lächelte freundlich. »Wir haben uns nur unterhalten«, erklärte sie, »und das neue Hotel bewundert.«
»Ich fürchte, dieser Teil des Strandes ist nur für Hotelgäste«, erklärte der Wachmann.
Helena sah sich um. »Aber es gibt hier keine Zäune oder Schilder.«
»Wir brauchen auch keine«, erwiderte der Mann.
»In diesem Teil der Insel wohnen nur ein paar Hundert Menschen. Die meisten arbeiten im Hotel, und die anderen wissen, wo sie hingehen dürfen und wo nicht. Darf ich Sie ins Hotel zurückbegleiten, Madam?«
»Aber die StraÃe ist doch öffentlich, oder?«, erkundigte sich Helena. »Kann ich unser Gespräch dort oben fortsetzen?«
»Natürlich«, antwortete der Wachmann zögerlich. »Aber wenn Sie trainieren möchten, das Hotel hat einen schönen Fitness-Raum mit den allerneuesten Geräten.«
Helena lachte und breitete die Arme aus. »Warum um alles in der Welt sollte ich mich denn in einem vollklimatisierten Raum auf dem Laufband abrackern, wenn es hier drauÃen so wunderschön ist?«
Dann winkte sie dem Mann von der Security zu, als wolle sie sagen: Alles in Ordnung , und ging mit Aizat im Schlepptau zur StraÃe hinauf.
»Der Typ ist hier der groÃe Boss«, erklärte Aizat. »Er war in der Nacht, als sie uns aus dem Dorf vertrieben haben, an der Seite des Polizeioffiziers. Wahrscheinlich war es keine gute Idee, Sie tagsüber so nah beim Hotel zu treffen.«
»Das hier soll doch angeblich ein freies Land sein, oder?«, gab Helena zurück.
»Wollen wir ein Stückchen laufen?«, fragte Aizat. »Ich bringe Sie ins Umsiedlungslager, dann können Sie die anderen kennenlernen.«
19
Die Sonne versank bereits hinter den Baumwipfeln, als Aizat und Helena im Dschungel ankamen. Viele Menschen waren gleich nach dem Tsunami aufs Festland gezogen. Diejenigen, die im Lager wohnten, hatten sich entweder bewusst dafür entschieden oder keine andere Wahl gehabt.
Seit Kyles Besuch vor drei Monaten hatte sich hier viel verändert. Die Kinder hatten sich zu Gangs zusammengeschlossen, Wandschirme waren aufgestellt worden, um etwas Privatsphäre zu schaffen, die Hütten wiesen Lüftungslöcher und zusätzliche Fenster auf, und aus Materialresten hatten die Menschen sogar einige Anbauten zusammengezimmert.
Doch die Lage war keineswegs ideal. Die Abwasserrohre waren schlecht installiert worden, auf den Toiletten summten Fliegenschwärme und es stank bestialisch. Die Wege durch das Lager waren nicht für die dauerhafte Nutzung von FuÃgängern und Radfahrern geeignet und hatten sich unter dem tropischen Regen in Schlammwüsten verwandelt.
Helenas weiÃe Turnschuhe quatschten im tiefen Matsch, als Aizat sie zu seiner Hütte führte. Er hatte die beiden besten Hütten für seine Familie organisiert, weit weg von einem stinkenden Toilettenblock und auf einem etwas höher gelegenen Gelände, wo das Wasser ablaufen konnte. Um ihnen zusätzlichen Platz zu
verschaffen, hatte er zwischen den beiden Hütten eine wasserdichte Konstruktion aus Holz und Kunststoff errichtet.
Die Möbel im Inneren stammten zum Teil aus der Hütte am Strand  â alles, was Aizat gerettet hatte  â und aus dem Starfish Hotel. Als Mrs Leung das Hotel an Tan Abdullah verkauft hatte und aufs Festland gezogen war, hatte sie die Möbel an die vertriebenen Dorfbewohner verschenkt.
Helena zog ihre Schuhe aus und betrat die Hütte in schmutzigen weiÃen Socken. Sofort bemerkte sie Aizats Bücherstapel an einer Wand. Dahinter lagen unzählige Dinge, die sie aus ihrem eigenen Hotelzimmer kannte: Handtücher,
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