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Die Entscheidung

Die Entscheidung

Titel: Die Entscheidung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa J. Smith
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überlegen.
    »Leo hat immer Hunger. Also füttert mich«, sagte die verzerrte, bestialische Stimme. Wann immer sie erklang, machte Jennys Herz einen Satz. Sie hatte Angst, dass die karamellfarbene Schnauze sich bewegen könnte, dass Leos Kopf sich in ihre Richtung drehen würde, sobald sie aufblickte.
    Er kann nicht. Er ist aus Plastik, beruhigte Jenny sich. Aber sie fürchtete, dass ihr Herz einfach aufhören würde zu schlagen, wenn die Figur sich doch bewegte. Die Stille des Parks und die Dunkelheit ließen diesen lebendigen Mülleimer noch unheimlicher erscheinen.
    Dee hockte sich auf die Fersen. »Sieht so aus, als steckte mehr hinter der Sache als eine einfache Suche
nach den Münzen. Wir müssen sie tatsächlich bekommen, was der schwierigste Teil sein dürfte. Es ist ein Suchspiel.«
    »Ein Suchspiel?«, wiederholte Jenny.
    »Ja. Erinnert ihr euch daran, wie ich euch etwas über die verschiedenen Arten von Spielen erzählt habe? Spiele sind in gewisse Kategorien unterteilt. Das erste, das Julian mit uns gespielt hat und bei dem wir bei Tagesanbruch im Türmchen des Papierhauses sein mussten, das war ein Wettrennen.«
    »Richtig, und das zweite, in dem der Kriecher und der Schleicher uns gejagt haben, war ein Jagdspiel. Wie Verstecken« , sagte Jenny.
    »Ja, und es gibt noch eine andere Art von Spiel, bei der man etwas finden muss, um zu gewinnen – wie bei einer Schatzsuche oder Schnitzeljagd. Ein Suchspiel.«
    »Natürlich«, murmelte Michael. »Menschen sind hervorragende Sucher – sie lieben es, nach Dingen zu suchen. Nach dem Heiligen Gral oder der Wahrheit oder dem Schatz im Silbersee oder was auch immer.«
    »Bestimmt findest du etwas, womit du Leo den papierfressenden Löwen füttern kannst. Ich bin am Verhungern.«
    Jenny schaute auf, herausgerissen aus der so angenehmen, weil rein theoretischen Diskussion. Audrey stand neben dem Zirkuswagen und untersuchte ihre Fingernägel.
Der für gewöhnlich perfekte Lack war während ihres Grubenabenteuers leicht abgeblättert. Sie wirkte nachdenklich.
    »Also los, Prinzessin. Ich fordere dich heraus«, sagte Dee, und ihre schwarzen Augen blitzten erheitert.
    »Sei nicht dumm, Audrey«, sagte Jenny automatisch, ohne die Warnung wirklich ernst zu meinen. Die Vorstellung war einfach zu abwegig: Audrey tat niemals etwas Verwegenes – zumindest nichts in körperlicher Hinsicht.
    Also sprach Jenny die Warnung ohne Nachdruck aus – und war daher in gewisser Weise verantwortlich für das, was als Nächstes geschah.
    Audrey streckte die Hand in das Löwenmaul.
    Michael schrie. Jenny sprang auf. Doch für einen Moment sah es tatsächlich so aus, als würde alles gutgehen.
    Audrey angelte mit starrer Miene; ihre Hand steckte bis zum Gelenk in Leos Maul.
    »Ich kann etwas spüren«, sagte sie.
    Jennys Herz hämmerte. »Oh, Audrey …«
    Audreys Lippen verzogen sich zu einem triumphierenden Lächeln, das ihren Schönheitsfleck betonte. »Es ist kalt – ich hab’s!«
    Dann ging alles sehr schnell.
    Die karamellfarbene Plastikschnauze zerfloss, zerschmolz – es sah aus wie ein gelungener Morphing-Effekt in einem Film. In einem Film wäre es auch sehr
faszinierend gewesen – aber hier war es real. Es war real und so schrecklich, dass Jenny wie angewurzelt stehen blieb.
    Die Farben verliefen und veränderten sich, wurden olivgrün und nahmen dann einen schrecklichen gräulichen Friedhofston mit stählernen Streifen an. Die Augen sanken ein und wurden zu tiefen Höhlen. Das Maul schien zu knurren, die Lippen entblößten lange Zähne, die Audreys Handgelenk umschlossen.
    Es ging so schnell, dass nicht einmal Dee Zeit hatte zu reagieren. Audrey begann nach Luft zu ringen, dann schrie sie. Ihr ganzer Körper wurde nach vorn gerissen.
    Das Ding hatte ihren Arm bis zum Ellbogen eingesaugt.
    »Audrey!«, schrie Michael. Mit zwei Schritten war er bei ihr. Direkt hinter ihm folgte Dee mit ihrer Hacke.
    Nutzlos, dachte Jenny benommen. Es ist nicht aus Fleisch wie dieses andere Ding – wie Slug. Es ist aus Stein oder Metall oder so etwas.
    »Nicht schlagen, Dee. Das wird nicht helfen. Wir müssen sie rausziehen!«
    Das Ding – es war kein Löwe mehr, sondern irgendeine grässliche Cyberbestie – hatte jetzt die Farbe einer alten, mit Moos bedeckten Statue.
    Audrey stieß erneut einen atemlosen Schrei aus, und ein Ruck lief durch ihren Körper. Der Ärmel ihrer Nylonjacke war jetzt bis zur Schulter hochgeschoben und
bauschte sich wie ein Ballon, während ihr Arm

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