Die Entscheidung
rot zu färben begann.
Und so bemerkte sie den Angriff erst, als sie Dee schreien hörte.
Jenny schaute auf und erstarrte. Ein Körper, ebenso wie der am Fischteich, aufgeschwemmt und mit der gleichen schauerlichen Leere über den Schultern, kämpfte mit Dee. Der einzige Unterschied war, dass dieser kein Flanellhemd trug sondern ein schwarzes T-Shirt und eine Lederweste. Es war P. C.
Der Kopf mit dem schwarzen Bandana zitterte heftig im Schrank – als wolle er sich von dem torkelnden Körper distanzieren. Die Augen des Kopfes blickten verängstigt zur Seite, um den Kampf zu beobachten.
»Ich glaube, die Schattenmänner kontrollieren den Körper!«, rief Michael und zog Summer aus dem Weg. Audrey war ebenfalls zurückgestolpert, und so kämpfte Dee allein gegen das Ding. Sie schwang die Hacke; Glas splitterte, Holz zerbarst.
Jenny, die das alles vollkommen unvorbereitet getroffen hatte, war immer noch wie erstarrt.
»Komm, schnell!«, schrie Michael. Er nahm ihr das Messer aus der Hand und stach sich in seinen eigenen
Finger. Im nächsten Moment befleckte er die zweite Rune.
»Mach weiter, Jenny!«
Wie in Trance hob Jenny ihren Finger und vollendete mit hellem Rot das X, das sie bereits vor dem Angriff zu färben begonnen hatte . Inzwischen hatte der kopflose Körper Dees Hacke gepackt und entriss sie ihr.
Plötzlich war Jenny wieder voller Energie. Die blau beleuchteten Köpfe schauten sie flehentlich an.
»Gebo!«, rief sie.
»Gebo!«, rief auch Michael, weil sein Blut ebenfalls auf den Runen war. Und dann passierte alles rasend schnell.
Die beiden Köpfe im Schrank zuckten. Ihre Unterkiefer klafften auf und enthüllten blau gefärbte Zähne. Ihre Augen rollten. Und da war ein Geräusch – ein unmenschliches Geräusch, ein Heulen, das von überall herzukommen schien, nur nicht aus den offenen Kiefern. Weiter hinten im Gang war ein schreckliches Krachen zu hören.
Der Körper schlug mit der Hacke wild um sich und zertrümmerte alles, was ihm im Weg war. Jenny beobachtete, wie seine Bewegungen immer ruckartiger wurden, bis sie ganz aufhörten. Der Körper plumpste auf den Boden, dann fiel er in sich zusammen wie ein angepikster Ballon.
Mittlerweile ertönte aus allen Richtungen Knacken, Surren, klimpernde Musik. Die ganze Spielhalle schien
gleichzeitig zum Leben erwacht. Das Fußmassagegerät vibrierte. In einem zersplitterten Schrank drehte sich eine mechanische Ballerina. Die Figuren des alten Bauerntanzes klapperten mit ihren Holzkiefern.
»Nichts wie raus hier!«, brüllte Dee über die Musik einer Jukebox hinweg.
Jenny warf einen letzten Blick auf den schwarzen Schrank. Die Köpfe regten sich nicht mehr, ihre leeren Mienen waren friedlich.
Dann setzte sie sich endlich in Bewegung und stieg rasch über die Glasscherben und P. C.s reglosen Körper hinweg, während die Spielhalle um sie herum dröhnte und kreischte. Eine Minute später war sie im Freien.
Kein Lärm, kein Chaos. Erleichterung durchflutete sie, obwohl sie immer noch in der Schattenwelt waren.
Sie sah Dee an. »Bist du okay?«
»Ja.« Dee umklammerte mit beiden Händen ihren Oberschenkel und zog Glassplitter aus ihrer Jeans. »Bis auf diese Wunde hier geht’s mir gut.«
Jenny bemerkte, dass Summer völlig verängstigt die Arme um sich geschlungen hatte. »Geht es dir gut?«
Summer lächelte gequält. Es war ein extrem wässriges Lächeln, aber immerhin ein Lächeln.
»Ich hab auch Splitter abbekommen«, sagte Michael und streckte seinen Finger in die Luft.
»Das war sehr mutig von dir«, antwortete Jenny. Sie erinnerte sich daran, wie er sie im Haus ihres Großvaters
angesehen hatte, als sie ihm erklärte, dass sie die Runen mit Blut beflecken müssten.
Dann drängte sie zum Aufbruch. »Summer, gib Dee ihre Jacke zurück. Audrey, kannst du gehen? Ich hab nämlich das Gefühl, dass wir uns schnellstens auf den Weg machen sollten. Ich glaube, sie sind ziemlich sauer.«
Sie betastete die Brusttasche ihrer Hemdbluse und spürte das beruhigende Gewicht darin. Aber sie mussten sich beeilen, Jenny war sicher, dass sich hinter ihnen ein Sturm zusammenbraute. Die Schattenmänner waren nicht gerade glücklich über das, was sie mit ihren Gefangenen angestellt hatte.
»Warte – wie sollen wir die Brücke denn finden?«, fragte Michael.
»Wir gehen einfach um den See herum, dann werden wir schon auf sie stoßen.«
Sobald sie die Bäume bei der Spielhalle hinter sich gelassen hatten, kam die Brücke in Sicht. Sie erhob sich über
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