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Die Entscheidung

Die Entscheidung

Titel: Die Entscheidung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa J. Smith
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Oberschenkel schmerzten. Direkt vor ihr keuchte Audrey.
    Sie wagte nur einen winzigen Blick auf den Abgrund zu beiden Seiten – und schon spürte Jenny, wie alles in ihrem Innern sich drehte und Purzelbäume zu schlagen schien.
    Ihre Beine wollten erstarren. Sie wollte sich hinsetzen und den Rest des Weges rutschen – nein, sie wollte sich auf den Bauch legen und schlittern. Aber das war nicht das Schlimmste.
    Sie hatte Angst, ohnmächtig zu werden.
    Wenn ich hier oben ohnmächtig werde, werde ich abstürzen, dachte sie. Ich werde ganz sicher abstürzen. Niemand fällt bei einer Ohnmacht direkt nach vorn. Ich werde über den Rand fallen, nach links oder rechts in den Abgrund.
    Der Gedanke an eine Ohnmacht blockierte alles andere. Sie würde in Ohnmacht fallen. Bei der bloßen Vorstellung wurde ihr schwindelig. Sie hatte solche Angst davor, ohnmächtig zu werden, dass sie am liebsten gleich gesprungen wäre.
    Hysterie stieg in ihr auf. Sie hätte nicht ans Springen denken sollen. Jetzt hatte sie Angst, dass sie tatsächlich springen würde , nur weil ihr die Idee gekommen war. Sie musste versuchen, nicht darüber nachzudenken.
    Denk an etwas anderes. Denk an Tom, denk daran, zu ihm zu kommen. Aber die Idee zu springen hatte sich in ihr festgesetzt. Sie begann, es sich vorzustellen. Sie
konnte alles hinter sich bringen, konnte sich zur Seite drehen und einfach loslassen. Gott, nein – sie wollte nicht, aber sie hatte Angst, dass sie den Verstand verlieren und es tun würde …
    Du bewegst dich jetzt weiter, Mädel! Die Stimme kam aus ihrem eigenen Kopf, aber sie war so schroff, dass sie fremd wirkte.
    Da erst bemerkte Jenny, dass sie angehalten hatte und wie erstarrt war. Sie blickte auf ihre Füße hinunter, die in ihren braunen, ledernen Wanderstiefeln steckten, auf das weiße Band der Brücke und in die formlose Dunkelheit um sie herum.
    Setz einfach einen Fuß vor den anderen. Den rechten Fuß. Zuerst den rechten Fuß.
    Ich kann nicht, dachte sie.
    Doch, du kannst!
    Aber wenn ich ohnmächtig werde – oder springe …
    Du erwartest von den anderen, dass sie sich ihren Ängsten stellen – und du selbst schaffst es nicht? Du bist nicht dein einziger Herr, wenn du nicht einmal deine eigenen Füße kontrollieren kannst! Du bist bloß ein Feigling!
    Der rechte Stiefel zuckte ein wenig. Dann trat er vor.
    So ist es richtig. Jetzt den anderen.
    Der andere Stiefel trat vor. Und Jenny ging wieder.
    Sie konnte es tatsächlich – sie konnte ihre Füße kontrollieren. Setz einfach einen Fuß vor den anderen. Und noch ein Schritt. Und noch einer.

    Schau nicht zur Seite. Ein weiterer Schritt. Und noch einer.
    Sie konnte sehen, wo die Brücke vor ihr endete. Drei Meter. Zwei Meter.
    Plötzlich fühlten sich ihre Beine so weich wie Glasnudeln an. Jenny stolperte – und fiel auf festen Boden.
    Dee beugte sich über sie. »Alles okay mit dir?«
    Jenny tätschelte schwach einen von Dees knöchelhohen Turnschuhen. »Mir geht’s großartig, danke.«
    »Ich hätte dich nicht als Letzte gehen lassen sollen.«
    Jenny richtete sich auf und wischte sich über die Stirn. »Ich bin ganz gut allein klargekommen.«
    »Ja, das bist du. Wie überhaupt sehr oft in letzter Zeit.«
    Jenny war glücklich.
    Erst dann wurde ihr bewusst, warum. Sie waren auf der anderen Seite. Sie hatten es geschafft.
    Tom.
    Sie sah sich um.
    Nach der fremdartigen Pracht zwischen den Welten war die Umgebung hier eine kleine Enttäuschung. Sie befanden sich auf der Hauptinsel im künstlichen See des Joyland Parks. Der Leuchtturm sah genauso aus wie schon die ganze Nacht über, weiß und glänzend. Der Park um sie herum war voller Lichter – aber es waren ganz normale Lichter, die ganz normale Karusselle wie die Super-Raupe und den Chaos-Käfer beleuchteten. Alles sah ganz normal aus.

    Hinter ihr wölbte sich die Brücke anmutig über den See, und das Wasser reflektierte einen schwankenden Bogen. Keine Spur von Nebel oder irgendwelchen anderen Welten.
    »Schätze, wir hatten eine Halluzination«, sagte Audrey langsam. »Eine von Julians Spezialitäten. Und ich nehme an, ich bin dafür verantwortlich, weil ich als Einzige etwas über diese anderen Welten weiß.«
    Jenny öffnete den Mund, dann schloss sie ihn wieder. Audrey hatte wahrscheinlich recht – aber sie war sich nicht sicher. Und die Wahrheit war, dass sie sich wohl niemals sicher sein konnten.
    Sie schaute wieder zum Leuchtturm hinüber. »Kommt weiter. Zu Zach und Tom.«
    Als sie aufstand,

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