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Die Entscheidung

Die Entscheidung

Titel: Die Entscheidung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa J. Smith
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Ich versuche, bei diesem Spiel die Regeln einzuhalten. Aber wenn du sie nicht binnen dreißig Sekunden hier raus hast, erlöschen alle Zusagen.«
    »Es tut mir leid, Thorny«, sagte Tom und hob sie hoch.
    »Nein!« Jenny war zornig, dass sie wie ein Kind zum Gehen gezwungen werden sollte. Und sie war zornig, weil sie gerade eben den Grund entdeckt hatte, warum sie bleiben wollte. Julian hatte es ausgesprochen. Sie wollte ihn retten.
    Es war wie das Schild auf Abas Spiegel. Tu nichts Böses. Hilf, wenn du kannst. Das war es, was sie wollte. Sie wollte helfen, wenn sie konnte. Wollte Böses mit Gutem vergelten, wo eine Chance bestand, dass es etwas bewirkte.
    Aber Tom und Dee waren nicht die Einzigen, gegen die sie kämpfen musste. Auch Michael und Audrey, Zach und Summer umringten sie, bildeten eine enge kleine Traube, um Jenny nach Hause zu eskortieren.
    »Wenn es sein muss, werden wir dich an den Haaren
durch diese Tür schleifen, Schätzchen«, sagte Dee grimmig, nur für den Fall, dass dies noch nicht deutlich genug geworden war.
    »Es gibt Zeiten, da kann man zu gut sein, und dies ist eine davon«, fügte Audrey hinzu.
    Sie alle steuerten auf die Tür zu – aber sie kamen niemals dort an.
    Nebel. Aber ein anderer als der, der sich auf der Brücke um Jenny herum erhoben hatte. Er war dicht, durchsetzt von dunklen Ranken, und er bewegte sich schnell.
    Eis und Schatten. Eine wirbelnde, brodelnde Mischung aus Schwarz und Weiß.
    Jenny erinnerte sich sehr gut daran – sie hatte diesen Nebel schon zweimal gesehen. Einmal, als sie fünf Jahre alt gewesen war und das schreckliche Ereignis danach so weit verdrängt hatte, dass es an Amnesie grenzte. Und noch einmal vor einem Monat, als sie in Julians Papierhaus die Erinnerung daran durchlebt hatte.
    Tom drehte sich um, voller Wut, um Julian anzuschreien. Jenny glitt aus seinen Armen. Sie konnte Julian ansehen, dass er nichts damit zu tun hatte.
    Als sie sich umschaute, hatte sie das Gefühl, in einen Albtraum zu stürzen – einen wiederkehrenden Albtraum. Auf allen Oberflächen bildete sich Frost. Er kroch an den Holzpfählen mit den rostigen Laternen empor, die auf dem Minigolfplatz standen. Er bedeckte die Fässer, die mit XXX etikettiert waren, und die Kartons, auf
denen Schwarzpulver stand. Eiszapfen wuchsen von den Seilen, die die Poller am Kai miteinander verbanden.
    Ein eisiger Wind wehte Jenny das Haar aus dem Gesicht, um es ihr dann brennend auf die Wangen zu peitschen.
    »Was passiert da?«, brüllte Audrey. »Was ist da los?«
    Summer schrie einfach nur.
    Es war so kalt  – so kalt wie das Wasser in der Höhle, in der sie beinah ertrunken wäre. So kalt, dass es wehtat. Es tat weh zu atmen, und es tat weh stillzustehen.
    Tom rief ihr etwas ins Ohr, versuchte, sie hochzuheben, und stolperte auf die Tür zu. Er hatte es durch das Feuer geschafft …
    Aber jetzt schaffte er es nicht. Der Eissturm blendete. Das weiße Licht war schmerzhaft grell, und die dunklen Ranken durchzuckten es wie peitschende Arme, die nach ihnen griffen.
    Sie hielten Tom fest. Sie hielten sie alle gefangen.
    Langsam erstarb der Wind. Die gleißende Helligkeit verblasste. Jenny konnte wieder etwas sehen – und sie sah, dass der Nebel sich sammelte und verschmolz. Dass er Gestalten bildete.
    Gestalten mit bösartigen uralten Augen.
    Die anderen Schattenmänner waren gekommen.
    »Oh Gott«, flüsterte Audrey. Sie rückte näher an Jenny heran. An ihren kupferfarbenen Ponyfransen hingen Eiszapfen. »Oh Gott – ich wusste nicht …«

    Jenny hatte es auch nicht gewusst. Sie verstand es nicht. Sie erkannte die grausamen, ausgehungerten Augen – sie konnte sich nicht irren, was diese Augen betraf. Aber diese Gestalten, die zu den Augen gehörten …
    Michael wischte sich mit dem Handrücken über den Mund und stellte sich schützend vor Audrey. Summer gab kleine, wimmernde Laute von sich. Zachs Augen wurden glasig, dann schüttelte er den Kopf und zog Summer näher an die Gruppe heran.
    Diese – Kreaturen – können keine Schattenmänner sein, dachte Jenny. Schattenmänner sind schön. Herzzerreißend schön.
    Diese Geschöpfe waren schrecklich.
    Sie waren furchtbar verzerrt und entstellt. Vielleicht wäre es leichter zu ertragen gewesen, wenn sie gar nicht erst wie Menschen ausgesehen hätten, aber sie taten es. Auf grauenhafte, obszöne Weise.
    Einige von ihnen hatten eine Haut wie Leder – als wäre sie geräuchert und gepökelt worden. Gelblich braun, so hart, dass ihre

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