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Die Entscheidung

Die Entscheidung

Titel: Die Entscheidung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa J. Smith
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irgendeine Möglichkeit gefunden, sie zu demütigen und sie auszulachen.
    Jenny hatte fest damit gerechnet, dass er es auch diesmal versuchen würde – also, warum hatte er es nicht schon längst getan? Warum war er nicht aufgetaucht, bevor sie Tom und Zach befreit hatten? Warum war er nicht als Pirat verkleidet und wehrte sie lächelnd mit einem Entermesser ab, darauf verweisend, dass sie Tom
und Zach erreichen mussten, um sie zu retten? Warum spielte er nicht sein übliches Spiel?
    Weil er wahrscheinlich etwas Schlimmeres aus dem Ärmel schütteln kann, sagte sie sich. Dieser gemalte Vulkan wird ausbrechen. Echte Blitze werden einschlagen. Oder vielleicht …
    … vielleicht war er des Spielens auch einfach müde.
    »Wir haben doch gewonnen, nicht wahr?«, fragte sie, plötzlich verunsichert. Sie hätte gedacht, dass sie die Verkündung ihres Sieges mehr genießen würde.
    »Ihr habt gewonnen«, bestätigte Julian ohne Gefühlsregung in seiner Stimme. Er sah sie immer noch nicht an. Und er wirkte tatsächlich müde  – sein ganzer Körper sah müde und erschöpft aus.
    Er wirkte – besiegt.
    »Also – kann ich gehen.«
    »Ja.«
    Jenny suchte immer noch nach dem Haken. »Und alle mitnehmen.«
    »Ja.«
    »Selbst Tom. Ich kann Tom mitnehmen.«
    »Lasst uns gehen«, sagte Tom hastig und schloss die Finger um ihren Oberarm. Jenny hätte ihn beinah abgeschüttelt. Das sah Julian überhaupt nicht ähnlich.
    »Ich kann gehen, und ich kann Tom mitnehmen«, wiederholte sie beharrlich. »Und die anderen. Es ist das letzte Spiel, und jetzt ist es vorbei.«

    Da sah Julian sie zum ersten Mal direkt an. Die Augen geweitet, mit jenem Ausdruck darin, den Jenny schon in der Höhle gesehen hatte. Es war ein nach innen gewandter Ausdruck, als spiele nichts mehr eine Rolle. Wie blaues Eis, das gleich brechen und von dunklem Wasser verschlungen würde.
    Ein inneres Zerbrechen.
    »Es ist das letzte Spiel«, bestätigte er. »Und jetzt ist es jetzt vorbei. Ich werde dich nie wieder belästigen.«
    Sein Mundwinkel zuckte, als wolle er noch mehr sagen – aber vielleicht geschah es auch ganz unwillkürlich. Dann wirbelte er herum.
    »Geh. Bring sie von hier weg«, sagte er mit verzerrter, belegter Stimme zu Tom, ohne ihn anzusehen. »Bring sie von hier weg! Bevor ich – etwas tue …«
    »Julian …«, rief Jenny.
    »… was uns allen leidtun wird …«
    Sein Rücken schauderte vor unterdrückten Gefühlen.
    Tom packte auch noch Jennys anderen Arm und drehte sie in die entgegengesetzte Richtung.
    Da entdeckte Jenny eine graue Holztür, die offen stand. Sie befand sich zwischen zwei riesigen Steinen, wie ein Tor. Aber da war kein Zaun und keine Mauer, nur die Tür, die so aussah, als sei sie schon immer dort gewesen.
    Auf der anderen Seite konnte Jenny den Flur ihres Großvaters erkennen, einschließlich des kleinen Telefontischs
mit dem weißen Zierdeckchen darauf. Das Telefon lag immer noch auf dem Boden.
    »Nach Hause«, murmelte Audrey mit einer solchen Sehnsucht in der Stimme, dass Jenny beinah Toms lenkenden Händen nachgegeben hätte. Aber dann drehte sie sich abrupt weg.
    Auf eine unerklärliche, verrückte Weise wollte sie bleiben und mit Julian reden.
    Aber Julian wollte nicht mit ihr reden.
    »Geh. Geh einfach – sofort!«
    Auch ohne sein Gesicht zu sehen, wusste sie, dass er kurz davor stand, die Kontrolle zu verlieren. Sie wollte ihn zu sich umdrehen.
    »Jenny, bist du verrückt?«, fragte Dee und versuchte gemeinsam mit Tom, sie von Julian wegzuzerren.
    »Gebt mir nur eine Minute!«
    »Würdet ihr sie bitte hier raus schaffen!«, knurrte Julian.
    Alle riefen durcheinander. Summer weinte. Und Jenny kämpfte ausgerechnet gegen die beiden Menschen an, die sie am meisten liebte – Tom und Dee. Aber sie musste es einfach tun, obwohl sie den Grund dafür nicht einmal selbst erklären konnte.
    Sie kannte das Risiko; sie verstand, warum Summer weinte. Sie spürte, wie sich ein Sturm in Julian zusammenbraute. Die Luft war heiß und elektrisiert wie kurz vor der Explosion eines Sommergewitters. Julian konnte ihnen alles antun.

    Aber sie konnte das nicht auf sich beruhen lassen.
    »Julian, bitte, hör zu …«
    Da drehte er sich plötzlich um. Er wirbelte so schnell herum, dass Jenny zurückwich. Sie hatte Angst vor dem, was sie in seinem Gesicht sah.
    »Du kannst mich nicht vor mir selbst retten«, zischte er und betonte dabei jedes Wort deutlich und abgehackt. Dann sah er Tom direkt ins Gesicht. »Schaff sie raus.

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