Die Entscheidung der Hebamme
hatte.
Das Dorf selbst erschien Dietrich riesig, vor allem gemessen an der kurzen Zeit seit seiner Entstehung. Am Bach standen mehrere Schmelzhütten, aus denen dichter Rauch quoll, in ihrer Nähe ließ sich noch der einstige Ortskern erkennen. Doch westlich davon war ein ganzes Viertel entstanden, das aus der Ferne schon städtisch wirkte und in dessen Mitte eine große steinerne Kirche stand, deren Türme noch nicht fertig waren. Etwas entfernt gab es noch zwei kleinere, hölzerne Kirchen. Östlich des Erzganges war eine weitere Siedlung gewachsen, die der Bergleute.
Die Burg – ein starker Bergfried, umgeben von einem Häusergeviert und einem Wall – stand auf einem Felsplateau. Der Bach, der es umfloss, war angestaut worden und füllte einen Graben, den eine Zugbrücke querte.
Im Bergfried, das wusste Dietrich, wurde das gewonnene Silber für seinen Vater aufbewahrt. Innerhalb des Walles musste auch die markgräfliche Münze untergebracht sein. Er war gespannt darauf, zu sehen, wie aus unscheinbarem Gestein Silberbarren gewonnen und aus diesen Pfennige geschlagen wurden. Christian wollte, dass er sich auch mit solchen Fragen beschäftigte, die wichtig für einen künftigen Herrscher waren. Auf Dietrichs etwas unwirsche Antwort, ihm sei es nicht bestimmt, einmal zu herrschen, hatte ihn sein neuer Dienstherr streng zurechtgewiesen. »Und was ist mit Weißenfels?!«
Dietrich war noch nie in Christiansdorf gewesen, da er die letzten zehn Jahre am Hof des Kaisers verbracht hatte, doch er wusste eine Menge über Wehranlagen. Sein prüfender Blick verriet ihm, dass diese Burg gut zu verteidigen war. Je ein Wachturm am westlichen und am nordöstlichen Ausgang des Dorfes sorgten zusätzlich für Sicherheit.
Plötzlich beugte sich Christian auf seinem Rappen vor und schirmte die Augen mit einer Hand ab, um besser sehen zu können. Er wirkte auf einmal beunruhigt.
Jetzt sah es Dietrich auch: Irgendetwas schien in einer der Gruben passiert zu sein, denn immer mehr Menschen liefen dorthin und bildeten bald ein dichtes Knäuel. Er bemerkte, dass Christian einen fragenden Blick zu Marthe sandte.
»Folgt mir!«, rief der Ritter dann und lenkte seinen Rappen, so schnell es ging, den Hügel hinab Richtung Grube.
Die einzigen Menschen, die den bewaffneten Reitertrupp zur Kenntnis nahmen, waren ein paar kleine Kinder, die sie mit großen Augen anstarrten. Den Gruß der Wachen am östlichen Dorfausgang erwiderte Christian, ohne anzuhalten.
Dass die Dorfbewohner trotz der Nachricht von der bevorstehenden Ankunft des Burgvogtes nicht zusammenliefen, um niederzuknien und sie willkommen zu heißen, und ihnen auch sonst kein Mensch begegnete, weckte nun auch in Dietrich Befürchtungen. Ob es ein Unglück in einer der Gruben gegeben hatte? Alles schien darauf hinzudeuten.
Christian an der Spitze des Reitertrupps hielt geradewegs auf die Grube zu, vor der sich eine große, wild durcheinanderschreiende Menschentraube gebildet hatte.
Noch immer schien sie niemand zu bemerken, geschweige denn Anstalten zu machen, den Herrn des Dorfes angemessen zu begrüßen.
Mit den Rücken zu den Neuankömmlingen, brüllten die Dorfbewohner, gestikulierten heftig, schubsten und drängelten, um irgendetwas zu sehen, das den Reitern verborgen blieb.
Lukas beendete das laute Durcheinander, indem er – ganz und gar unhöfisch – auf zwei Fingern einen durchdringenden Pfiff ausstieß.
Sofort drehten sich die Ersten um und erstarrten für einen Moment, um gleich darauf ehrfürchtig zu verstummen.
»Begrüßt den Herrn und die Herrin von Christiansdorf und den Sohn unseres Markgrafen!«, rief Lukas in die Menge.
So wie ein ins Wasser geworfener Stein immer größer werdende Kreise verursacht, erfasste die eintretende Stille Reihe um Reihe die aufgebrachten Menschen. Einer nach dem anderen sanken die Christiansdorfer pflichtgemäß auf die Knie, bis sich ein vornehm gekleideter und sichtlich aufgebrachter Mann mit grauem Bart durch die Menge schob.
»Seid gegrüßt, Herr, und willkommen zurück«, sagte er und verneigte sich tief, bemüht, den Ärger aus seinem Gesicht verschwinden zu lassen.
»Gott zum Gruße, Bergmeister Hermann«, antwortete Christian. »Hat es ein Unglück gegeben?«
»Der Herr sei gelobt, nein.« Hastig bekreuzigte sich der Bergmeister. »Die Männer haben Rotgüldigerz gefunden. Und daraufhin brach hier solch ein Geschrei aus, dass die Dummköpfe noch die bösen Berggeister aufwecken werden.« Wieder schlug er
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