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Die Entscheidung der Hebamme

Die Entscheidung der Hebamme

Titel: Die Entscheidung der Hebamme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Ebert
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ließen schwebende Staubkörnchen flimmern. In der Kühle des steinernen Gemäuers waren sie das Einzige, das an die draußen herrschende Hitze erinnerte.
    Christian war zufrieden, dass sich Dietrich – obwohl bleich und übernächtigt – nichts von den Strapazen der Nacht anmerken ließ. Ein paar gute Freunde mussten ihm am Morgen aufgeholfen haben. Niemand, der eine ganze Nacht reglos mit ausgebreiteten Armen auf dem kalten Steinfußboden einer Kirche zubrachte, kam danach noch aus eigener Kraft auf die Beine.
    Der Junge würde Stärke und Härte gegen sich selbst brauchen, um die künftigen Anforderungen zu bestehen, nun noch mehr als ohnehin schon ein Ritter von Stand. Er musste unter den kritischen Augen der adligen Welt die Schande auslöschen
und
seinen rigiden Vater zufriedenstellen, was von allen Unterfangen vielleicht das komplizierteste war.
    Christian stand nun schon seit zweieinhalb Jahrzehnten in Ottos Diensten, rechnete er die Pagen- und die Knappenzeit auf dem Meißner Burgberg mit. Und mit den Jahren war es für ihn immer schwieriger geworden, seinem Lehnsherrn, der im Alter noch mürrischer und launischer wurde, aus innerer Überzeugung und nicht nur aus Pflicht die Treue zu halten.
    Wenn sein neuer Knappe nicht wollte, dass es sich sein Vater doch noch anders überlegte, sollten sie lieber zusehen, dass sie Magdeburg auf schnellstem Weg verließen.
    Als hätte Dietrich Christians Gedanken erraten, bekreuzigte er sich und stand auf.
    Wider Erwarten wurden sie am Ausgang diesmal nicht von Bettlern bestürmt. Die Verkrüppelten und Gebrandmarkten waren in ein wildes Knäuel verwickelt und schienen sich um einen Brotlaib zu prügeln. Etwas abseits lag – völlig unbeachtet – der ausgemergelte Leichnam einer Geblendeten. Christian hatte in seinem Leben schon genug Tote gesehen, um zu erkennen, dass hier jede Hilfe zu spät kam.
    Er schlug ein Kreuz, ebenso wie Dietrich, der angewidert auf die sich wild Prügelnden sah. Dann führte er seinen neuen Schützling zu dem Kräutergarten, in dem er noch vor zwei Tagen mit Marthe gesessen hatte. Doch diesmal ging er nicht zur Bank aus Weidengeflecht, sondern vergewisserte sich, dass niemand sie belauschen konnte.
    »Ich will wissen, warum du auf deinen älteren Bruder losgegangen bist«, sagte Christian streng, die Arme vor der Brust verschränkt.
    Dietrich senkte beschämt den Kopf, so dass die braunen Haare in sein schmales, immer noch von Schlägen gezeichnetes Gesicht fielen. Stockend berichtete er mit leiser Stimme.
    Seine Geschichte überraschte Christian nicht; etwas in dieser Art hatte er erwartet. »Es wird nicht das letzte Mal gewesen sein, dass Albrecht dich provoziert oder demütigt«, mahnte er. »Ganz gleich, wie sehr er es darauf anlegt – du darfst die Beherrschung nicht verlieren. Noch einmal wird sich dein Vater nicht umstimmen lassen.«
    »Ich weiß«, antwortete Dietrich, und seine Miene verschloss sich.
    »Also denk stets daran, dass du Albrecht einen großen Gefallen tust, wenn du noch einmal versagst. Dann ist ihm die Markgrafschaft sicher.«
    »Das ist sie doch sowieso«, antwortete Ottos jüngerer Sohn unwillig, während er aufsah und Christian anblickte. »Seit er laufen kann, hört er doch nichts anderes von Vater, als dass er einmal dessen Land und Titel erbt.«
    »Dein Vater will dir das Gebiet um Weißenfels überlassen, und Albrecht missgönnt es dir«, entgegnete Christian mit Schärfe in seiner Stimme. »Insgeheim fürchtet er sogar, es könnte ihm so gehen wie euerm Vater, der viel weniger erbte, als er erwartet hatte.«
    Ein Küchenjunge kam, der anscheinend ein paar Gewürzpflanzen holen sollte. Als er die beiden finster dreinblickenden Männer sah, der Kleidung nach unverkennbar von hohem Stand, verharrte er einen Moment unentschlossen auf der Stelle und lief dann mit ängstlicher Miene wieder fort.
    »Lass uns zu den Ställen gehen. Die anderen werden schon auf uns warten«, sagte Christian.
    Erleichterung zeichnete sich auf dem Gesicht des Siebzehnjährigen ab. Doch der Ritter hielt ihn noch einen Moment zurück. »Wenn du bei mir bleiben willst, brauche ich dein Wort, dass du dich nicht noch einmal von Albrecht provozieren lässt.«
    »Ihr habt es«, antwortete Dietrich nach kurzem Überlegen.
    »Ganz gleich, was geschieht?«, fragte Christian mit unnachgiebiger Strenge. »Von jetzt an hängt nicht nur dein Schicksal davon ab!«
    »Ja, Herr. Ihr könnt Euch auf mich verlassen«, versicherte Dietrich in ernstem,

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