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Die Entscheidung der Hebamme

Die Entscheidung der Hebamme

Titel: Die Entscheidung der Hebamme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Ebert
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wirklich von Herzen zu lieben – etwas, das Dietrich bei Hofe erst wenige Male gesehen hatte und sonst nur aus den Geschichten kannte, die die Spielleute vortrugen.
    Ob ihm selbst je einmal solche Liebe beschieden sein würde? Er wünschte es sich von Herzen, auch wenn wenig Hoffnung darauf bestand. Sollte ihn sein Vater nicht doch noch in ein Kloster schicken, würde er eine Verbindung arrangieren, die vorteilhaft für das Haus Wettin war, ganz ohne Rücksicht auf die Empfindungen der Brautleute. Und so beobachtete er verstohlen Marthe und Christian, als könnte er sich etwas von ihrem Glück borgen.
    Für vergnügliche Abwechslung unterwegs sorgten zwei junge Burschen, die gerade erst das Mannesalter erreicht hatten. Sie gaben sich zwar alle Mühe, beflissen und ernsthaft zu wirken, konnten es aber dennoch nicht lassen, ihre Späße zu treiben. Kuno hieß der eine, ein Rotschopf voller Sommersprossen, der, wie Dietrich aus ihren scherzhaften Disputen erfuhr, mit einer Stieftochter Marthes verheiratet war, die ihr erstes Kind erwartete. Sein schwarzhaariger Freund Bertram schien hingegen an Liebeskummer zu leiden. Wie Dietrich aus einigen Bemerkungen erriet, hatte sich seine Auserwählte in einen anderen verliebt, der jedoch gestorben war und dem sie immer noch nachtrauerte. Bertram musste sich nun allerhand mehr oder weniger rücksichtslose Scherze darüber anhören, wie er die Gunst des Mädchens erringen konnte. Erst als Christian die Spötter streng zurechtwies und sie daraufhin sofort mit einem Ausdruck schlechten Gewissens verstummten, wurde Dietrich klar, dass es sich bei dem Mädchen um die Schwester von Kunos Frau und damit um eine weitere Stieftochter Marthes handeln musste.
     
    In drückender Sommerhitze näherten sich die Reisenden Christiansdorf. Ein Regenguss vom Morgen hatte sie eher erfrischt als gestört, doch mittlerweile waren alle bereits wieder von Staub bedeckt.
    Als sie nur noch ein kurzes Stück vom Dorf entfernt waren, schickte Christian einen seiner Reisigen voraus, damit er Nachricht gab, dass die Ankunft des Burgvogtes, seiner Begleiter und eines Sohnes von Markgraf Otto zu erwarten war. So konnte er sich darauf verlassen, dass sie schon bald eine gute Mahlzeit und Wasser für ein Bad vorfinden würden.
    Christian lenkte seinen Rappen einen Hügel hinauf und gab Dietrich das Zeichen, an seine Seite zu kommen. Der Fürstensohn ritt einen kostbaren Grauschimmel, wie Christian einst selbst einen besessen hatte – ein Geschenk des Markgrafen, da niemand außer Christian das wilde Tier zu zähmen vermochte.
    Christian richtete versonnen einen Blick auf Marthe. Der Hügel war einer ihrer Lieblingsplätze, von hier aus konnte man auf das gesamte Dorf schauen, und manchmal ritten sie gemeinsam hierher, um nachzudenken und Zukunftspläne zu schmieden. Marthe lächelte ihm zu, dann dirigierte sie ihren braven Zelter ein paar Schritte zur Seite, damit Dietrich die Kuppe des Hügels erklimmen konnte.
    »Wir sind am Ziel«, sagte Christian und deutete auf den Ort, der vor ihnen lag.
    Dietrich verschlug es bei dem Anblick die Sprache. Er hatte unterwegs eine Menge darüber gehört, welche wundersame Entwicklung Christians Dorf genommen hatte, aber es mit eigenen Augen zu sehen, war eine andere Sache.
    »Und … das ist alles in nur einem Dutzend Jahren auf wilder Wurzel entstanden?«, fragte er beinahe atemlos.
    »Fast auf den Tag genau. Als ich vor zwölf Jahren mit dem Siedlerzug hier ankam, war das alles dichter Wald. Nur am Bach gab es eine kleine Lichtung. Dort wurden die ersten Felder angelegt und Häuser gebaut.« Christian deutete auf die ausladende Dorflinde und ein paar Katen in ihrer Nähe.
    Von Wald oder Feldern war kaum noch etwas zu sehen in der Szenerie vor ihnen, in der Menschen klein wie Ameisen geschäftig herumeilten.
    Der Wald war im großen Umkreis gewichen, da vor allem die Gruben und die Schmelzöfen Unmengen von Holz und Holzkohle benötigten. Aber auch Äcker – wie sonst in und um ein Dorf üblich – gab es kaum, nur ein paar Gärtchen und ein Hanffeld, das die Seiler mit Rohstoff für ihre Arbeit versorgte.
    Geprägt wurde das Antlitz des Dorfes vor allem durch einen breiten Streifen in nordöstlicher Richtung, auf dem an unzähligen Stellen gewaltige Löcher im Boden klafften und Menschen emsig damit beschäftigt waren, Silbererz zu fördern und auf den Scheidebänken zu zerkleinern. Der Erzgang setzte sich hinter dem Ort fort, wie Lukas unterwegs erklärt

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