Die Entscheidung der Hebamme
Niederkunft schon eine schlaflose Nacht hinter sich hatte, musste der Trank sie umgeworfen haben wie einen betäubten Ochsen.
Sie hatte gerade noch mitbekommen, dass Walther selbst die Wache vor ihrer Kammer übernahm, gemeinsam mit einem seiner Vertrauten sowie Elmar und einem weiteren von Albrechts Männern.
Sie richtete sich nun ganz auf und rieb sich die Augen. Doch die Benommenheit wollte nicht weichen.
»Ihr habt die ganze Zeit wie tot dagelegen; das wurde langsam ziemlich beängstigend«, brummte Walther verlegen.
»Schon gut, es wird gleich wieder«, versuchte sie, ihn zu beruhigen, doch die Sorge in ihrem Gesicht konnte sie nicht verbergen.
»Niemand hat Eure Kammer betreten, ich bin keinen Schritt von der Schwelle gewichen«, versicherte ihr Walther, der wohl die stumme Frage in ihren Augen gelesen hatte. Dankbar nickte sie ihm zu, während ihr durch den Kopf ging, welche Gerüchte die merkwürdigen Befehle Albrechts für ihre Nachtruhe wohl auf der Burg hervorgerufen haben mussten. Aber jetzt gab es Wichtigeres.
»Was ist mit dem Sohn des Markgrafen?«
»Er ist erst spät aufgestanden. Er zog diesen Ritter Elmar und seine zweite Wache von hier ab, und gleich nach dem Frühmahl rief er den Münzmeister zu sich. Nach Euch hat er sich erkundigt und befohlen, wir sollten Euch schlafen lassen, bis Ihr von selbst aufwacht. Aber dann wolle er Euch unverzüglich sehen.«
»Nun, lassen wir ihn nicht länger warten.«
Wer weiß, was Albrecht inzwischen anstellte. Marthe warf die Decke beiseite und besah kritisch ihr Kleid, das vollkommen zerknittert war. Doch es auszuziehen und im Unterkleid oder gar nackt zu schlafen wie üblich, während vier Männer vor ihrer offenen Tür standen, wäre natürlich undenkbar gewesen.
Walther verstand und zog sich zurück. Marthe ging mit Marie in die Kemenate, um sich zu erfrischen und für die Begegnung mit Albrecht zu wappnen. Und um zu hören, wer ihre Stieftochter so heftig ins Gesicht geschlagen hatte, dass ihre linke Wange dick angeschwollen war.
Was Marie stockend und voller Scham berichtete, brachte Marthe so in Rage, dass ihre Benommenheit jäh verflog.
Albrecht konnte warten, so bald würde er sowieso nicht mit ihr rechnen. »Du darfst ihm nicht mehr unter die Augen kommen«, beschloss sie sofort. »Geh zu deinem Bruder und Agnes, sie werden dich aufnehmen. Und lass dich so wenig wie möglich draußen blicken!«, sagte sie.
Karl, der ältere Bruder von Johanna und Marie, war mit der Tochter eines Obersteigers verheiratet und arbeitete in seiner eigenen Schmiede. Die beiden hatten drei kleine Kinder, und Agnes erwartete schon wieder eines. Sie würde froh und erleichtert sein, wenn Marie ihr zur Hand ging.
»Einer von Walthers Männern wird dich hinbringen, am besten heute Abend, wenn Albrechts Leute allesamt in der Halle sind und sich betrinken. So lange bleibst du hier in meiner Kammer.«
Marie nickte erleichtert. Dann sah Marthe aus der Fensterluke und winkte einen der Stallknechte heran. »Schick mir Peter!«, rief sie, gerade laut genug, dass er sie verstehen konnte. Der Stallknecht nickte und lief zurück. Augenblicke später kam der ehemalige Dieb schon angerannt, wie immer mit frechem Grinsen und froh, sich für Christians Frau nützlich machen zu können. »Lauf zu Tilda und bitte sie hierher«, trug sie dem mageren Jungen auf.
Tilda war die Wirtin des Hurenhauses von Christiansdorf. Angesichts der vielen Fremden und Glückssucher, die schon bald nach den ersten Silberfunden hier aufgetaucht waren, hatte es nicht lange gedauert, bis ihnen die Huren folgten. Ihre Dienste waren gefragt. Viele der neu Hinzugezogenen waren ledige Männer, die ihre mal mühsam erarbeiteten, mal leicht gewonnenen Pfennige bereitwillig zwischen den Schenkeln der Hübschlerinnen ausgaben. Doch als sich vor ein paar Jahren die Beschwerden der verheirateten Frauen und des Paters über den sündigen Anblick häuften, den die Huren auf den Straßen boten, hatten Christian und der damalige Dorfälteste, der Schmied Jonas, vorgeschlagen, die Dörfler sollten ein Hurenhaus bauen. Die Frauen willigten ein und wählten Tilda, die Älteste von ihnen, zur Hausherrin. So kehrte zumindest in dieser Angelegenheit wieder Ruhe im Dorf ein, weil allen mit der Lösung gedient war: Die Huren mussten nicht mehr bei Wind und Wetter im Freien auf Kundschaft warten, die vielen Ledigen oder Witwer unter den Bergleuten, Wachen und Handwerkern ließen die Hände von jungen Mädchen oder
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