Die Entscheidung der Hebamme
verließen er und Dietrich das Zelt. Er war kaum draußen, als er Otto hinter der Leinwand murren hörte: »Nun haben wir immer noch keinen Grund, diese sinnlose Belagerung abbrechen zu können. Ich bin es wirklich leid!«
Christian warf einen kurzen Blick auf Dietrich, der mit verbissener Miene hinter ihm lief. »Da hörst du’s. Es hat nichts mit dir zu tun.«
»Wenn ich das nur glauben könnte«, stieß Dietrich zwischen den Zähnen hervor.
»Sie suchen alle nach einem Vorwand, hier wegzukönnen, ohne das Gesicht zu verlieren. Würde mich wundern, wenn sich der nun nicht bald findet.«
Als sie ihren Lagerplatz erreichten, schrak Christian zusammen. Neben Lukas, der immer noch bäuchlings, aber mittlerweile bei Bewusstsein auf dem Boden lag, kniete ein Mönch mit einem Kranz grauer Löckchen um die Tonsur.
Ein paar Schritte abseits stand Jakob und starrte mit entsetzter Miene auf seinen schwerverwundeten Bruder.
Der Geistliche sah auf und las sofort aus Christians betroffenem Gesicht, welchen Schluss dieser aus seiner Anwesenheit zog.
»Ich bin nicht wegen der Sterbesakramente hier«, beruhigte er ihn. »Der ehrwürdige Wichmann hat mich geschickt, nachdem Gerolf berichtete, dass Ihr und einer Eurer Ritter verwundet seid.«
Erleichtert trat Christian näher und ließ sich an der Seite seines Freundes nieder. Durch die unbedachte Bewegung drückten die Ringe seines durchbohrten Kettenhemdes den Rest des Pfeilschaftes nach oben, der immer noch ein kurzes Stück herausragte. Vor Schmerz zog er scharf die Luft ein.
Der Mönch musterte ihn kurz, dann wandte er sich wieder Lukas zu. »Wenn ich hier fertig bin, kümmere ich mich gleich um Eure Verletzung.«
»Wird er es überstehen?«, fragte Christian besorgt.
Lukas’ Wunde musste sehr tief sein, und sie blutete immer noch. Erst jetzt erkannte Christian neben dem verletzten Freund auch mehrere blutverschmierte Stücke des Pfeils und die schmale, gezackte Spitze, die noch in der Apparatur des Wundarztes steckte. Also hatten David und Georg das kostbare Stück in kürzester Zeit aufgetrieben. Richtig, da standen sie, in respektvollem Abstand und von einem Bein aufs andere tretend, und ließen keinen Blick von Lukas.
»Ich muss die Wunde ausbrennen, damit sie endlich aufhört zu bluten und nicht brandig wird«, verkündete der Mönch. »Dafür brauche ich ein paar Männer, die mir zur Hand gehen.«
Sofort rannten die Knappen los, um auf einer Schaufel aus hartem Holz etwas Glut zu holen, damit der Mönch sein Messer ausglühen konnte.
Raimund kniete sich vor seinen bäuchlings liegenden jüngeren Freund und schob ihm das Heft seines Dolches zwischen die Zähne, um zu verhindern, dass dieser sich während der Prozedur die Zunge abbiss. Dann zog er Lukas’ Oberarme nach vorn und drückte sie mit seinen Händen fest auf den Boden. Vor Schmerz stöhnte der Verletzte auf.
Der Mönch sah sich um. »Ihr seid sein Bruder?«, fragte er Jakob, der immer noch unentschlossen ein paar Schritte entfernt stand. »Worauf wartet Ihr? Setzt Euch rittlings auf seinen Rücken, damit er sich nicht aufbäumt, wenn ich die Wunde ausbrenne. Und betet zu Gott, dass er nicht verblutet!«
Kreidebleich trat Jakob näher.
»Sollte nicht ich es sein, der sich jetzt fürchtet?«, brachte Lukas mit gequältem Spott zwischen den Zähnen hervor. »Wenn du deine Sache nicht gut machst, kleiner Bruder, such dir einen anderen, der sich um deine Brut kümmert!«
Jakob brachte kein Wort heraus, befolgte aber die Anweisung des Geistlichen.
Der Mönch sprach ein Gebet, dann hielt er sein Messer in die Glut.
Christian erschauderte. Er wusste, was dem Freund nun bevorstand – und ihm selbst vermutlich auch noch. Er hatte sich schon einmal eine Beinwunde ausbrennen müssen und noch äußerst ungute Erinnerungen daran. Irgendetwas ließ ihn befürchten, dass die Prozedur am Rücken und am Brustbein noch schmerzhafter sein könnte.
Doch es war nicht zu vermeiden, und sie sollten froh und dankbar für die Hilfe des Geistlichen sein. Heilkundige Mönche waren oft erfahrener in diesen Dingen als Ärzte. Zwar sollten sie nicht ins Fleisch schneiden und überhaupt jeglichen Kontakt mit Blut meiden. Doch in Fällen wie diesem pflegten die Aufgeschlosseneren unter ihnen diese Regel großzügig auszulegen, wie er von Pater Bartholomäus wusste. Dann hatte eben Vorrang, den Körper des Kranken für den Kampf mit den Dämonen zu stärken, die die Krankheit verursachten.
Der durchdringende Geruch
Weitere Kostenlose Bücher