Die Entscheidung der Hebamme
»Und dann will ich erst hören, was sie selbst dazu meint.«
Er ließ sich neben dem jungen Mann nieder und hob den Leinenstreifen an, der den offenen Teil der Wunde bedeckte. »Da ragte der Knochen raus. Der Feldscher hat das wieder hingekriegt. Nur … wenn es brandig wird …«, berichtete Bertram und verstummte erneut.
»Noch sind keine schwarzen Ränder zu sehen und auch keine roten Streifen«, sagte Christian und stand wieder auf. »Und falls es dazu kommen sollte, werden wir es ausbrennen, ehe wir jemanden mit der Knochensäge an dein Bein lassen. Kuno weiß inzwischen, wie das abläuft. Warum soll es dir bessergehen als mir?«, fragte er in gespieltem Grimm und freute sich, als die beiden jungen Männer ein mattes Grinsen austauschten.
»Denk daran, wie Raimund damals im ersten Jahr nach unserer Ankunft ins Dorf kam«, redete er Bertram weiter zu. »Auch ihm wollte ein übereifriger Feldscher das Bein abnehmen, aber Marthe hat es gerettet, und heute läuft er wie eh und je.«
Was Christian verschwieg: Bertram würde dieses Glück wohl nicht haben. Trotz der Schwellung war zu sehen, dass der Knochen nicht wieder in die ursprüngliche Lage gebracht worden war. Selbst wenn er das Bein behielt – Bertram würde nie wieder laufen können, ohne zu humpeln. Und das war noch die erfreulichste Aussicht. Er nahm sich vor, Wichmanns heilkundigen Mönch zu fragen, ob er sein Können noch einmal beanspruchen durfte. Vielleicht gelang es ihm ja, den Knochen zu richten.
»Du weißt, was Marthe oder Johanna tun würden, damit sich die Wunde nicht entzündet?«, fragte er Kuno.
Der Rotschopf nickte.
»Kümmere dich um ihn! Das hat für dich im Moment Vorrang vor allen anderen Pflichten.«
»Mach ich, Herr«, stammelte Kuno erleichtert.
Wenig später wurde Christian zu Markgraf Otto gerufen, um mit ihm an einer Beratung der Heerführer in Wichmanns Zelt teilzunehmen. Dietrich von Landsberg und Dedo von Groitzsch warteten bereits bei ihm, wobei der Markgraf der Ostmark besonders grimmig wirkte.
Also ist es wahr, dachte Christian. Im Lager ging das Gerücht um, dass Dietrich am Morgen zur Abschreckung fünf Brabanzonen hatte hängen lassen, weil sie sich schwere Übergriffe gegen seine Männer geleistet hatten.
Dedo hingegen konnte ein Grinsen nicht verbergen, und Otto wirkte für seine Verhältnisse geradezu gutgelaunt.
Für Ottos frohe Miene wusste Christian nur zwei Erklärungen: Entweder hatte jemand einen Weg gefunden, die Burg trotz ihrer starken Befestigung und ihrer Lage im Handstreich einzunehmen, oder gleich würde etwas geschehen, das den Wettinern einen Vorwand gab, mit ihren Männern abzuziehen. Das erschien ihm wahrscheinlicher.
In der Mitte von Wichmanns großem, üppig ausgestattetem Zelt saßen die Erzbischöfe von Magdeburg und Köln auf kostbaren Stühlen. Umringt waren sie von einem Dutzend Männer, unter denen Christian den Thüringer Landgrafen Ludwig, dessen jüngeren Bruder Hermann, Gerolf und Hoyer von Falkenstein erkannte, der ihn mit einem knappen, kameradschaftlichen Nicken begrüßte.
Philipp war kaum wiederzuerkennen – nicht nur, weil er seine Kleider gegen saubere, noch prunkvollere getauscht hatte, sondern weil er nun eine Unnahbarkeit und Überlegenheit ausstrahlte, von der vor drei Tagen nichts zu erkennen gewesen war.
Dennoch sah Christian für einen Augenblick Unsicherheit, ja, beinahe Angst über sein Gesicht huschen – genau in dem Moment, als unmittelbar nach den Wettinern der Anführer der Rottenknechte das Zelt betrat.
Verärgert sah Wichmann auf den Schwarzbärtigen. »Du und deinesgleichen, ihr habt hier nichts zu suchen. Hinaus!«, fuhr er ihn an.
»Findet hier nicht eine Versammlung der Heerführer statt?«, konterte dieser dröhnend. »Und führe ich nicht das größte Heer an? Waren es nicht meine Männer, die sogar den gefürchteten Bernhard von Lippe aus Westfalen vertrieben haben? Außerdem will ich Beschwerde führen gegen den da!« Wütend wies er auf Dietrich von Landsberg.
»Dies ist eine Versammlung von Fürsten und Rittern, da haben du und deinesgleichen nichts zu suchen!«, wiederholte Wichmann zornig. »Dein Heerführer, der Erzbischof von Köln, wird dir deine Befehle später übermitteln. Und bevor
du
Klage gegen irgendjemanden erheben darfst, wirst du dich zu verantworten haben für meine Dörfer, die du niedergebrannt hast! Für Kloster Hillersleben, das du geplündert und zerstört hast. Hinaus, Gottloser!!!«
Bei den letzten Worten
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