Die Entscheidung der Hebamme
»Ihr wollt, dass mir morgen der Kopf mehr vom Wein weh tut als die Wunde nach Eurer martialischen Behandlung!«
»Das wäre doch ein Erfolg«, meinte der Mönch erleichtert, und um seine Augen bildeten sich kleine Lachfältchen.
Christian nahm einen tiefen Schluck, dann sah er dem Älteren in die Augen. »Ich danke Euch. Auch dafür, was Ihr für meinen Gefährten getan habt.«
»Gott schütze Euch und schenke Euch beiden schnelle Genesung«, entgegnete der Mönch, packte seine Sachen und ging zurück zum Lager der Magdeburger.
Die Ankunft von Erzbischof Philipp mit seinem viertausend Mann starken Heer veränderte die Situation der Belagerer von Haldensleben von Grund auf. Nun waren sie genug Kämpfer, um die Burg von allen Seiten zu umschließen.
Doch die Kölner Rotte, die zahlenmäßig die zuvor angerückten Einheiten um ein Mehrfaches übertraf, brachte gehörig Unruhe unter die Belagerer, und das nicht nur wegen ihrer Anzahl. Hatten die Befehlshaber bisher mit äußerster Härte die Disziplin unter den Männern aufrechterhalten können, die in Kälte, Schlamm und Regen und bei kargen Rationen die Tage damit verbrachten, missmutig die Burg von fern anzustarren, so trieben die berüchtigten Brabanzonen die ohnehin schon angespannte Lage vollends zur Eskalation.
Bereits am ersten Tag begannen sie so viele Schlägereien mit den Truppen, die unmittelbar neben ihnen lagerten, dass sich Wichmann gezwungen sah, jedem Unruhestifter mit dem Verlust der Schwerthand zu drohen, wie es der Kaiser im Feldlager auch tat.
Das Grölen der viertausend Mann starken Streitmacht von Erzbischof Philipp war auch im Lager der Wettiner zu hören. Noch blieben ihnen direkte Konfrontationen erspart, doch Christian war klar, dass er mit einem heimlichen Vergeltungsakt der Rotte rechnen musste. Er ermahnte seine Leute, sich nicht provozieren zu lassen, und verdoppelte die Wachen um die Zelte und die Pferdekoppeln. Vor allem trug er dafür Sorge, dass Dietrich stets in Begleitung mehrerer bewährter Kämpfer war.
Währenddessen machte ihm seine Verletzung mehr zu schaffen als erwartet. Die Wunde verschorfte nur langsam, riss immer wieder an den Rändern auf und nässte.
Lukas durfte auf Geheiß des Mönches vorerst nicht aufstehen. Dass der Freund darüber nicht spottete, sondern die meiste Zeit schlafend oder im Halbdämmer verbrachte, bereitete Christian mehr Sorge, als ihm lieb war.
Und es gab noch jemanden, um den er sich Gedanken machen musste. Irgendwann, als er nach der kräftezehrenden Behandlung wieder einigermaßen klar denken konnte, fiel ihm auf, dass Kuno zwar mit großer Gewissenhaftigkeit dabei war, seine neuen Pflichten zu erfüllen, dass jedoch niemals Bertram an seiner Seite auftauchte, obwohl die beiden sonst seit der Kindheit unzertrennlich waren.
»Wo steckt eigentlich dein Zwillingsbruder?«, versuchte Christian einen Scherz.
In Kunos von Sommersprossen übersätem Gesicht erstarb der für ihn typische unbekümmerte Ausdruck.
»Verletzt«, meinte er bekümmert, doch gleich darauf wurde ihm bewusst, dass er seinem Dienstherrn wohl ein paar ausführlichere Erklärungen schuldete.
»Während Ihr fort wart, brannte es im Lager der Groitzscher. Wir sind hingerannt, um zu helfen. Bertram hat versucht, die Pferde zur Ruhe zu bringen und an einen sicheren Platz zu führen. Die Tiere waren in Panik, und in dem Gewühl hat ihn eins erwischt. Der Feldscher hat ihm die Knochen gerichtet, so gut er konnte. Aber er meinte, er müsse ihm vielleicht das Bein abnehmen. Dann wurde er selbst verletzt und kam nicht mehr dazu.«
»Bring mich zu ihm«, sagte Christian sofort. Kuno führte ihn wortlos zu einem der Zelte. Bertram lag gleich am Eingang und wollte sich hochstemmen, als er Christian vor sich stehen sah.
»Bleib liegen«, sagte der Ritter und hatte Mühe, sich seine Erschütterung nicht ansehen zu lassen. Bertrams schwarze Haare und sogar die Augenbrauen waren abgesengt, was sein abgemagertes Gesicht noch blasser machte, aber die würden wieder nachwachsen. Doch sein rechter Unterschenkel war auf doppelten Umfang angeschwollen und schillerte in allen Farben, soweit er es unter dem verschmutzten Verband erkennen konnte.
»Wenn es ab muss, Herr«, sagte Bertram leise und schluckte, »wenn es ab muss, gebt Marie einem anderen. Sie soll nicht mit einem Krüppel leben müssen. Das hat sie nicht verdient.«
»Darüber reden wir, wenn es so weit ist, und keinen Augenblick eher«, erklärte Christian schroff.
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