Die Entscheidung der Hebamme
Männer der Lüge bezichtigen?«, schnauzte Albrecht. »Wie ich gehört habe, ist schon der Vater dieses Burschen als Dieb gehängt worden. Es scheint ihm also im Blut zu liegen. Stehlt Ihr mir nicht meine Zeit!«
Gütiger Herr im Himmel, lass irgendetwas geschehen, um Christians Hand zu retten!, betete Marthe zähneklappernd und hielt verstohlen Ausschau nach Peter und seiner Bande.
Stattdessen wühlte sich Bertha durch die Menschenmenge und warf sich händeringend dem Vogt vor die Füße.
»Gnade, Herr, lasst Gnade walten für meinen Sohn!«, bat sie unter Tränen. Ungerührt befahl Albrecht seinen Wachen, die Verzweifelte fortzuschaffen und das Urteil endlich zu vollstrecken. »Nein! Nein! Gott, hilf!«, schrie Bertha, während zwei Männer sie wegzerrten.
Kreidebleich und fassungslos starrte der junge Christian auf die Hand, die er gleich verlieren sollte, dann auf den Büttel, der sich bereitmachte, zum Hieb mit der Axt auszuholen.
Bertha schrie gellend, aus den Reihen der Dorfbewohner kamen wütende Rufe. Marthe trat vor, noch ohne eine Eingebung zu haben, was sie tun sollte.
Und dann ging auf einmal alles so blitzschnell, dass niemand später genau sagen konnte, was im Einzelnen passiert war. Irgendjemand ließ ein wütend quiekendes Ferkel los, das in wildem Tempo genau auf den Richtblock zuraste. Christian nutzte die so entstehende Verwirrung, um sich loszureißen und zu fliehen; den Wachen, die ihn verfolgen wollten, rannte das aufgebrachte Schwein zwischen die Füße, so dass sie stürzten. Heilloses Durcheinander herrschte, bis das Tier endlich eingefangen war.
Gut gemacht, dachte Marthe, glücklich über Peters Findigkeit, auch wenn sich Christian nun verstecken musste, solange Albrecht hier herrschte.
Wütend starrte Ottos Sohn in die Menge und wartete, ob einer seiner Leute zurückkam, der den Geflüchteten wieder eingefangen hatte. Doch vergeblich.
Trotz der allgemeinen Erleichterung und sogar heimlichen Belustigung hielt jeder der Dorfbewohner den Atem an. Was würde der künftige Markgraf jetzt tun? Wie würde er sich rächen?
Albrecht richtete seinen Blick auf Bertha, die völlig aufgelöst an der Seite stand und die Hände vors Gesicht geschlagen hatte. Auf seinen Befehl hin griffen zwei Wachen nach ihr und stießen sie vor den Vogt.
»Du bist seine Mutter?«, fragte Albrecht knapp, und nach ihrem ängstlichen »Ja, Herr« schnitt er ihr mit einer Bewegung jedes weitere Wort ab.
»Da der Schuldige geflohen ist, wirst du an Stelle deines Sohnes die Strafe auf dich nehmen«, erklärte Albrecht und gab ein Zeichen, woraufhin die Männer die angstvoll aufschreiende Bertha zum Richtblock zerrten.
Das alles ist meine Schuld, dachte Marthe entsetzt. Ich habe ihn dazu provoziert, als ich Christian losband. Ich hatte gedacht, ich könnte es wagen; ich hatte gedacht, ich könnte ihn ein wenig im Zaum halten. Für meine Vermessenheit, für meinen Hochmut werden Bertha und Christian nun bestraft.
Ohne auf Hilbert zu warten, trat sie vor und sank direkt vor Albrecht auf die Knie, in den Schlamm. Doch Ottos Sohn beachtete sie gar nicht.
Fast im gleichen Augenblick war der Bergmeister vorgetreten, der mit Bertha hergeeilt war, als er von dem Willkürurteil gegen den jungen Christian hörte.
»Kann ich die Frau auslösen?«, fragte er knapp und knüpfte seinen Beutel vom Gürtel. »Sie führt mir den Haushalt, ich habe mich an ihre Dienste gewöhnt, und da nützt sie mir als Krüppel nichts mehr.«
Seine Worte klangen schroff, beinahe gleichmütig, aber Marthe wusste, das war gespielt.
Hermann hatte Bertha bei sich aufgenommen, nachdem Randolf ihren Mann unter falscher Anklage hatte hängen lassen. Er schätzte sie sehr und fühlte ebenso Sympathie für den jungen Christian wie die anderen Dorfbewohner. Doch wenn er das zeigte, würde Albrecht aus purer Boshaftigkeit nicht auf seinen Vorschlag eingehen.
Dass Hermann nun mit dem Gebaren eines bedeutenden und wohlhabenden Mannes vor ihm stand, dem es nicht etwa um Mitleid mit einer zu Unrecht Bestraften ging, sondern nur um den Erhalt einer tüchtigen Bediensteten, erhöhte seine Aussicht auf Erfolg. Denn der Bergmeister hatte ebenso wie Marthe längst erkannt, dass Albrecht diesen Tag nutzen wollte, um an Geld zu kommen.
Neugierig musterte der künftige Markgraf den graubärtigen Bergmeister, der für ihn unantastbar war, weil sein Vater ihn für unabkömmlich bei der Silbergewinnung hielt. Hermann war womöglich der reichste Mann in
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