Die Entscheidung der Hebamme
immer lauter, dass der Allmächtige die Krankheit über das Dorf gebracht habe, um uns alle für das gottlose Treiben hier zu strafen.«
Clara legte eine Pause ein, und Christian und Lukas begannen zu ahnen, was als Nächstes kam.
»Wir mussten ja zu seinen Messen gehen, sonst hätten wir noch mehr Aufmerksamkeit auf uns gezogen. Jedes seiner Worte, jede seiner Drohungen von ewiger Verdammnis waren auf uns und das seiner Meinung nach gottlose Treiben auf dieser Burg gemünzt. Er wusste eine Menge darüber, was hier vor sich geht. Raina hat er öffentlich als reulose Sünderin verdammt und sie dazu getrieben, den Großknecht zu heiraten, obwohl sie den nicht mag. Den Dorfschulzen hat er dazu gebracht, dass er das Hurenhaus schließen lassen will. Und ohne Mutters Namen zu nennen, predigte er immer wieder voller Hass über schamlose Weiber, die heidnischem Aberglauben nachhängen und Zauberei betreiben. Wer zu ihnen gehe, um sich helfen zu lassen, sei verdammt in alle Ewigkeit.«
Clara senkte die Stimme. »Dagegen konnten ihr auch Reinhard oder der Bergmeister nicht helfen, nicht einmal Mechthild. Mutter hat versucht, sich nicht anmerken zu lassen, wie tief sie das traf. Und als dann Adelas schwere Stunde nahte, schrie diese lauthals, sie würde ihr Kind nicht von einer Verdammten auf die Welt holen lassen.«
Clara sah den Zorn in Lukas’ Gesicht und ließ mit bitterer Miene die Hände in den Schoß sinken. »Mutter wusste, dass das Kind verkehrt herum lag. Sie flehte Adela geradezu an, sich von ihr helfen zu lassen. Sie hätte es in ihrem Leib drehen können. Aber Adela hatte ihre alte Kammerfrau losgeschickt, damit die eine Wehmutter aus ihrem Dorf holte. Und Pater Sebastian persönlich schlich vor ihrer Kammer herum, um Mutter den Zugang zu verwehren. Die fremde Wehmutter hat versagt, Eure Frau ist ihr unter den Händen weg verblutet. Es tut mir leid.«
»Warum nur hat sie sich nicht von Marthe helfen lassen?«, murmelte Lukas verständnislos.
»Die Dame Adela sagte, jede sei ihr recht, um Euerm Sohn auf die Welt zu helfen, nur nicht Mutter.«
Einen Moment herrschte Schweigen zwischen den beiden Rittern und dem Mädchen.
»Mutter fühlte sich schuldig an Adelas Tod, obwohl sie nichts dafürkonnte. Sie war am Ende ihrer Kräfte durch die Seuche, zermürbt durch Pater Sebastians Angriffe – und nun das noch. Es war einfach zu viel für sie. So wurde sie zur leichten Beute für das Fieber.«
Clara verstummte, und wieder senkte sich Schweigen über die kleine Runde.
Ein halbes Jahr habe ich sie allein gelassen, warf sich Christian vor. Nicht weil ich wollte, sondern weil ich es musste. Habe ich ihr zu viel zugemutet, ihre Kräfte überschätzt? Über all dem, was sie in den letzten Jahren gewagt und geschafft hat, habe ich vergessen, wie zerbrechlich sie in Wirklichkeit ist.
Dem Ansturm von Arbeit allein hätte Marthe standgehalten, dessen war er sich sicher. Doch den hinterhältigen Angriffen Sebastians, dem zermürbenden Geisteskrieg und der über allem schwebenden Drohung des Todesurteils war sie nicht gewachsen. Davor hatte niemand von seinen Freunden sie schützen können.
Er fing Lukas’ Blick auf und ahnte, woran der Freund dachte: an einen Streit vor Jahren, damals, als er Marthe, todkrank und durch Folter und Gefangenschaft vor Entsetzen verstummt, nach Hause gebracht hatte. Sie haben ihren Lebenswillen zerstört, fürchtete er lange Zeit, doch Lukas hatte ihm leidenschaftlich widersprochen.
»Du hattest damals doch recht«, murmelte Lukas nun. »Sosehr sie sich auch bemüht hat, es sich nicht anmerken zu lassen – etwas haben sie in ihr zerbrochen.«
Wie hatte er auch denken können, sie würde das Durchlittene je vergessen?, warf sich Lukas vor. Wie stark mochte in ihr die Furcht gewachsen sein, letztlich doch auf dem Scheiterhaufen zu enden? Er hatte geglaubt, sie nach all den Jahren zu kennen wie sonst nur Christian, doch er hatte sich täuschen lassen. Ihre Stärke, ihre Gelassenheit waren nur gespielt.
Denn wer Angst zeigte, war verloren in dieser Welt.
»Ich muss dich doch nicht ermahnen, mit niemandem sonst darüber zu reden?«, sagte Christian nach einem Moment beklommenen Schweigens zu seiner Tochter.
Clara verkniff sich gerade noch im letzten Augenblick ein verächtliches Schnauben. Was dachte ihr Vater von ihr? Doch sie verzog keine Miene, sondern nickte nur. »Natürlich nicht. Soll ich jetzt nach Daniel suchen lassen? Er und der ehrwürdige Friedmar sind bestimmt gleich
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