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Die Entscheidung der Hebamme

Die Entscheidung der Hebamme

Titel: Die Entscheidung der Hebamme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Ebert
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alten Ängsten gepackt. Mehr als Kälte und Schneeregen setzten ihr die bedrohlichen Blicke von Ekkehart, Elmar und Giselbert zu. Sie ließen in ihr den alten, fast vergessenen Alptraum wiederaufleben, der sie seit ihrem ersten Tag bei Hofe immer wieder gequält hatte: den Traum von dem Rudel wilder Bestien, die sich auf sie stürzen und sie zerreißen würden, wenn sie auch nur durch eine einzige Bewegung ihre Todesangst verriet.
    In Christians Gegenwart wagten die drei Ritter, die einst über sie hergefallen waren, nicht ein Wort zu ihr zu sagen. Dies und die Ausdrücklichkeit, mit der Hedwig die bewährte Heilerin unter ihren Schutz gestellt hatte, ließen Marthe mit jedem ereignislos verstreichenden Tag etwas mehr aufatmen. Nur langsam fand sie die Kraft zurück, sich in der feindlichen höfischen Gesellschaft zu bewegen, ohne sich etwas von ihren Ängsten anmerken zu lassen.
     
    Auf dem Hoftag Mitte November in Erfurt galt es, wichtige Dinge zu verhandeln. Hedwigs Bruder Siegfried, nunmehr Erzbischof von Bremen, erhielt vom Kaiser Stadt und Grafschaft Stade, Adolf von Holstein bekam seine einstigen Besitzungen dafür zurück, dass er auf die Seite des Kaisers gewechselt war. Landgraf Ludwig von Thüringen, befreit aus welfischer Gefangenschaft, überließ die Pfalzgrafschaft seinem Bruder Hermann.
    Dieser vereinbarte außerdem eine Heirat mit Sophie, der Witwe von Ottos erst Ende August verstorbenem Bruder Heinrich von Wettin. Eine Absprache, die Otto im Kreis seiner Brüder zu der mürrisch vorgebrachten Äußerung bewegte, die mit solcher Hast wiedervermählte Witwe möge im Bett ihr Bestes tun, um die Thüringer dem Hause Wettin gewogen zu machen. Er traue Ludwig nach wie vor nicht über den Weg.
    Auch wenn vermögende Witwen zumeist schnell wiederverheiratet wurden – schließlich galt es, Besitzungen zu erhalten und neue Bündnisse zu schließen –, brachte ihm seine taktlose Bemerkung einen strafenden Blick Hedwigs ein.
    Doch selbst diese zu jedem anderen Zeitpunkt als wichtig erachteten Neuigkeiten bewegten die meisten der angereisten Fürsten nur wenig.
    Sie wollten nichts dringender sehen als den gefallenen Welfenfürsten im Staub zu Füßen des Kaisers.
     
    Da! Otto krallte seine Hand so heftig in Hedwigs Arm, dass sie nur mit Mühe einen Aufschrei unterdrücken konnte. Der Skandal wäre perfekt gewesen!
    Sie stieß mit dem malträtierten Arm Otto leicht in die Seite, der so erst seine unwillkürliche Reaktion bemerkte und den Griff lockerte.
    Hedwig warf einen heimlichen Blick auf Dietrich, ihren Geliebten, der zwischen Otto und Dedo stand, dann stellte sie sich leicht auf die Zehenspitzen, um in der dichtgedrängten Menge der Fürsten sehen zu können, was nun geschah.
    Geleitet von Wichmann, durchschritt der Löwe den großen Saal, während er die Augen aller Anwesenden auf sich gerichtet wusste.
    In deutlich größerem Abstand, als er früher dem Kaiser, seinem Vetter, seine Aufwartung gemacht hatte, blieb er stehen und verharrte, ohne den Blick von Friedrich abzuwenden.
    Mancher meinte zu sehen, dass Wichmann ihm sogar einen kleinen Stoß gab, andere behaupteten, er habe dem Gefallenen lediglich zur Ermutigung die Hand auf die Schulter gelegt.
    Zögernd trat Heinrich einen Schritt vor und kniete nieder. Schon diese Geste fiel ihm sichtlich schwer, und das nicht nur, weil er die fünfzig überschritten hatte.
    Totenstille herrschte in der prunkvollen Halle.
    Kaiser und Kaiserin sahen wortlos und mit ausdruckslosen Mienen auf den einstigen Herzog, der vor ihnen kniete.
    Endlich schien Heinrich zu begreifen, dass ein Kniefall nicht genügte.
    War es das Ächzen eines alten Mannes oder ein verzweifeltes Stöhnen, das er von sich gab, als er den Rücken krümmte und sich dem Kaiser zu Füßen warf?
    Friedrich zeigte immer noch keinerlei Regung.
    Endlich erhob er sich und ging drei Schritte auf den Gefallenen zu. »Steht auf, Vetter!«
    Er reichte dem Löwen sogar die Hand, um ihm aufzuhelfen, und umarmte ihn zum Friedenskuss. Dann wischte er sich mit dem Saum seines prachtvollen Umhangs über die Augen.
    Immer noch war kein Wort in der Halle gefallen. Die meisten Fürsten blickten finster – manche angesichts der Taten des in Ungnade Gefallenen, andere wegen der versöhnlichen Haltung des Kaisers, weil sie Heinrich den Friedenskuss nicht gönnten. In den Vorverhandlungen hatte der Kaiser dafür plädiert, dem Reumütigen wenigstens einen Teil seiner Besitztümer zurückzugeben. Doch die

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