Die Entscheidung der Hebamme
Gerüche. Dort wurde in gewaltigen Kesseln die nächste Mahlzeit vorbereitet; wahrscheinlich das Essen für die Dienerschaft.
Mit ihrem Sinn fürs Praktische versuchte sich Marthe auszumalen, wie viel Aufwand es wohl bedeuten musste, ausreichend Fleisch und Wein, Korn und Bier zusammenzukaufen und herzuschaffen, um solch eine gewaltige Zahl von Menschen zu beköstigen. Denn mit den Fürsten und Rittern waren auch noch unzählige Knappen und Bedienstete gekommen. Gerade legte wieder ein Schleppkahn am Ufer an, und unter lauten Rufen rollten Männer Fässer auf die Wiese oder hievten sich schwere Schweinehälften über die Schulter, um sie zu den Vorratszelten der Küchenmeister zu schleppen.
Da und dort begrüßte jemand Christian im Vorbeigehen; er erwiderte den Gruß, ohne sich länger aufzuhalten.
In der Hoffnung, dass es in dem Gedränge unbemerkt blieb, schmiegte sich Marthe für einen Moment etwas enger an ihn, als die Etikette erlaubte. Er lächelte kaum erkennbar in sich hinein und hauchte einen Kuss auf ihre Schläfe.
Soweit es in der Menschenmenge möglich war, steuerten sie geradewegs auf ihr Ziel zu. Ein guter Bekannter aus früheren Tagen, der Sänger Ludmillus, hatte ihnen die Nachricht zukommen lassen, er würde nach dem Festmahl, wo er im Kaiserpalast für die Unterhaltung der Gäste zu sorgen hatte, unter freiem Himmel auftreten, und ihnen eine ungefähre Beschreibung des Ortes gegeben.
Er war nicht zu verfehlen. Der begnadete Spielmann musste auf einem Fass oder etwas Ähnlichem stehen, denn sein Kopf ragte aus der Zuschauermenge heraus, die ihn umringte. Gerade gab er wohl ein paar Scherze zum Besten, denn die Menschen um ihn herum brachen immer wieder in fröhliches Gelächter aus.
Nun entdeckte er sie und rief seinem Publikum zu: »Holde Damen! Edle Herren! Jetzt erfahrt von mir aus erster Hand von der großen Herrlichkeit, mit der heute Morgen vor unserem Herrn Kaiser und seiner schönen Gemahlin Beatrix von Burgund der Pfingstgottesdienst gefeiert worden ist! Doch bevor ich meinen Gesang beginne, macht Platz für jenen tapferen Ritter dort und seine Dame!«
Schwungvoll wies er auf Marthe und Christian, für die nun tatsächlich jeder bereitwillig beiseiterückte, bis sie in der vordersten Reihe zu stehen kamen.
Niemand von den Zuschauern konnte wissen, dass der Spielmann die beiden nach vorn bat, weil er ihnen seit vielen Jahren und durch gemeinsam überstandene Gefahren verbunden war. Die anderen hielten sie anhand ihrer Kleider einfach für zwei besonders vornehme Gäste, denen allein aus diesem Grund zweifelsfrei die besten Plätze zustanden.
Otto hatte Unsummen Silbers ausgegeben, um bei dem Fest mit seinem Gefolge besonders eindrucksvoll aufzutreten. Allen seinen Rittern hatte er aus diesem Anlass prachtvolle Bliauts fertigen lassen; Christian noch dazu aus Dankbarkeit für dessen Verdienste ein aufwendig gearbeitetes Schwertgehänge. Marthe hingegen hatte von Hedwig ein so prächtiges Kleid bekommen, wie sie noch nie eines besessen hatte: in leuchtendem Krapprot und mit üppigen Stickereien, nach neuester burgundischer Mode eng geschnürt in der Taille, aber mit weit ausladendem, weich fallendem Rock und Ärmeln, deren Enden fast bis zum Boden reichten.
Ludmillus grüßte seine Gönner mit einer tiefen Verbeugung. »Willkommen, edler Herr! Und Ihr, meine Sonne!«
Marthe musste lächeln, denn so hatte Ludmillus sie einst bei ihrer ersten Begegnung genannt, als sie mit dem Siedlerzug in die Mark Meißen unterwegs waren und sie barfuß, zerlumpt und abgekämpft von den Strapazen des Weges ihn zum ersten Mal singen hörte.
»Ich sollte zuerst Eurer schönen Dame ein Minnelied dichten. Doch vergebt mir, hoher Herr – all diese Menschen warten auf Neuigkeiten vom Fest! Wenn Ihr bereit seid, Euch zu gedulden, bis ich vom Glanz des Kaisers und der Kaiserin berichtet habe, werde ich Euch entschädigen, indem ich gleich zwei Lieder für die schöne Dame an Eurer Seite singe.«
Mit auffordernder Geste ging Christian auf den Vorschlag des Spielmanns ein. Er wusste, dass Marthe vor Verlegenheit am liebsten im Boden versinken würde, wenn Ludmillus hier ein Minnelied auf sie anstimmte; selbst wenn diese Lieder zumeist so allgemein gehalten waren, dass der eifrige Sänger nur die Haar- und Augenfarbe der Dame seines Gönners einfügen musste, um ihr zu schmeicheln.
Und natürlich wollten auch sie Einzelheiten von den Geschehnissen des Vormittags hören – woher immer der Spielmann sie
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