Die Entscheidung der Hebamme
Fürsten waren unerbittlich gewesen und beriefen sich darauf, dass der Kaiser ihnen in Würzburg einen Eid geleistet hatte, den Löwen ohne ihre Zustimmung nie wieder in seine früheren Ehren einzusetzen. Nun pochten sie darauf, dass der Welfe alle Titel, Lehen und Eigengüter verlieren müsse.
Mit Mühe hatte Friedrich wenigstens ihre Zustimmung dazu erwirken können, dem in Ungnade Gefallenen Braunschweig und Lüneburg zu überlassen. Die Bedingung dafür war Verbannung.
»Ihr werdet das Reich verlassen und es nur mit meiner ausdrücklichen Erlaubnis wieder betreten«, verkündete der Kaiser den Beschluss des Fürstengerichts.
Heinrichs versteinerte Gesichtszüge erblassten. Hatte er damit gerechnet, dass sein Vetter das Urteil noch abwenden konnte?
»Wie Ihr wünscht, mein Kaiser«, sagte er schließlich. Sein Atem ging stoßweise wie nach einem schnellen Marsch.
»Ich muss Euch einen Eid darauf abverlangen«, beharrte der Kaiser.
Heinrich zuckte zusammen. Die Demütigung war zu groß.
Wieder griff Wichmann als Vermittler ein.
Unaufgefordert trat er vor und hielt Heinrich ein goldenes Kreuz hin. Was er dabei flüsterte, konnte niemand außer seinem Gegenüber verstehen.
Der gestürzte Herzog legte seine rechte Hand auf das Kreuz und sagte mit gepresster Stimme: »Mein Kaiser! Vor Gott, vor Euch und den in dieser Halle versammelten Fürsten schwöre ich, das Land nicht wieder zu betreten, bevor es Euer Wunsch und Befehl ist.«
»Ich gewähre Euch eine Frist bis zum fünfundzwanzigsten Juli des nächsten Jahres, Eure Angelegenheiten zu regeln. Danach habt Ihr das Land auf drei Jahre zu verlassen«, verkündete der Kaiser.
Mit einem knappen Nicken nahm der einst so stolze Herzog von Sachsen und Bayern den Befehl entgegen. Dann stützte er sich auf Wichmanns angebotenen Arm und ließ sich aus dem Saal geleiten.
Raunen und Wispern begleiteten seinen Abgang. Heinrich tat, als würde er von alldem und von den gehässigen und triumphierenden Blicken nichts bemerken, doch die vorangegangene Demütigung hatte seinen Stolz und seine Beherrschung aufgezehrt. Beinahe wäre er kurz vor der Tür gestolpert. Aus den hinteren Reihen war ein unterdrücktes Lachen zu vernehmen.
»Ich finde, so hätte er noch eine Weile liegen bleiben können«, raunte der Meißner Markgraf, der mit Hedwig zwischen seinen Brüdern stand.
»Und sollte ihm je ein Denkmal gesetzt werden, dann dieses – im Staub zu Füßen des Kaisers«, fügte Dedo nicht weniger gehässig an.
»Ihr vergesst beide, bei allen seinen Fehlern, seiner Selbstüberschätzung, seiner Habgier und seinem Hochmut – er war ein großer Fürst«, ermahnte Dietrich leise. »Ein tapferer Mann, ein gefürchteter Kämpfer, ein kluger Förderer der Städte und der Besiedlung Ostelbiens.«
Verwundert starrte Otto seinen Bruder an. Schließlich war Dietrich derjenige aus dem Hause Wettin, der die meisten Gründe hatte, den Welfen zu verabscheuen.
Doch schon erhob der Kaiser erneut seine Stimme.
»Wir, Kaiser von Gottes Gnaden, bestätigen Bernhard von Anhalt als Herzog von Sachsen. In unserer Güte lösen Wir Braunschweig und Lüneburg aus Unserer Acht, obwohl sie einem Geächteten statt ihrem Kaiser die Treue gehalten haben. Und jeder der hier versammelten Fürsten möge Uns jetzt und hier einen feierlichen Eid leisten, von nun an Waffenruhe zu halten. Tretet einzeln vor und schwört, damit endlich Friede herrsche im Reich!«
Wie alle, die bei jener geschichtsträchtigen Zusammenkunft nicht dabei sein durften, weil sie nur den höchsten Edlen des Reiches vorbehalten war, diskutierten an diesem Abend auch Marthe und Christian mit ihren Freunden ausgiebig, was sich von der Fürstenversammlung in Windeseile herumgesprochen hatte. Zusammen mit Lukas, Raimund und Elisabeth saßen sie in der winzigen Gästekammer, die Marthe und Christian als Quartier diente, um das endgültige Ende des Krieges zu feiern. Gerade hatte sich noch Christians einstiger Knappe Dietrich zu ihnen gesellt, der mit Neuigkeiten aus erster Hand aufwarten konnte.
»Hat der Kaiser tatsächlich geweint?«, fragte Marthe ihn zweifelnd. Zu diesem Detail schwirrten widersprüchliche Gerüchte durch Erfurt.
»Er wischte sich mit dem Umhang über die Augen«, berichtete Dietrich.
Raimund grinste. »Eine wohldurchdachte Geste. Niemand wird behaupten können, er hätte den Kaiser weinen sehen, aber auch für das Gegenteil gibt es keinen klaren Beweis.«
»Solche Gesten sind wochen- und monatelang
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