Die Entscheidung der Hebamme
gesehen habt«, erwiderte Christian gelassen, und Marthe bewunderte die Schlagfertigkeit, mit der er die gefährliche Frage beantwortet hatte, ohne zu lügen. Als Dame war sie Wulfhart wirklich noch nie begegnet.
Misstrauisch warf er noch einmal einen Blick auf sie, aber die vornehm gekleidete Edelfreie konnte er nicht mit dem zerlumpten mageren Ding in Verbindung bringen, das er vor mehr als fünfzehn Jahren hatte verfolgen lassen, um sie zu töten. Nachträglich war sie froh, heute zu Schleier und Reif noch ein Gebende zu tragen, das ihr Haar vollständig verbarg.
Christian verneigte sich wortlos und wandte sich dann ab, um Marthe mit sich ziehen zu können.
Sie glaubte bei jedem Schritt, die Knie würden ihr den Dienst versagen. Vielleicht würde Wulfhart ihnen nachgerannt kommen, weil ihm doch noch klargeworden war, wen er da wiedergetroffen hatte? Oder würde er seine Häscher hinter ihr herhetzen? Die unverhoffte Begegnung mit dem grausamen Burgherrn aus ihrem früheren Leben wühlte Marthe auf. Obwohl sie Christian an ihrer Seite wusste, war die Angst vor Wulfhart und seinem Schreckensurteil plötzlich wieder übermächtig.
Mit einem Mal hatte sie keine Augen mehr für all die Pracht rings um sie herum. Stattdessen wuchs in ihr die Furcht, etwas Schreckliches würde hier geschehen.
Sie umklammerte Christians Arm fester. Beruhigend legte er seine Hand über ihre.
Ludmillus hatte instinktiv erfasst, was gerade geschehen war, und schwieg. Christian führte ihn und Marthe zu dem Zelt, in dem er und seine Frau, die beiden inzwischen neunzehnjährigen Knappen Georg und David sowie Lukas und Reinhard untergebracht waren. Die Ritter und Knappen hatten es sich davor um ein Feuer gemütlich gemacht und erzählten sich gegenseitig, was sie an diesem Tag gesehen und erlebt hatten. Die Menschenmengen und die ungeheure Pracht dieses Festes boten schier unerschöpflichen Gesprächsstoff.
»Hier, ich bringe einen alten Bekannten, der euch noch mehr berichten kann«, sagte Christian, als er ans Feuer trat.
Begeistert begrüßten die Männer den Spielmann, den sie alle kannten, und drängten ihn, zu erzählen.
Bevor Ludmillus begann, schickte Christian David los, um Raimund und dessen Frau Elisabeth zu suchen, während er Georg Wein holen ließ.
Endlich war die Runde komplett, jeder hatte seinen Becher und wartete gespannt auf Ludmillus’ Vortrag.
Auf Christians Bitte begann der Sänger noch einmal mit seinem Lied über die feierliche Messe am Morgen. Nachdem er unter dem Beifall der Zuschauer die Taube hatte flattern lassen, sah er prüfend in die Runde, ob er wirklich jedem der hier Sitzenden vertrauen konnte, und fügte ein zweites Lied an – diesmal mit der altbekannten Spottlust über das Festmahl im Palast. Denn wie Ludmillus singend und spielend berichtete, hatte es dabei allerhand Gezänk gegeben unter den Fürsten, von denen mehrere fanden, ihnen stünde ein besserer Platz an der Tafel zu.
Vor allem der Erzbischof von Köln hatte schon wieder für Streit gesorgt und sogar mit sofortiger Abreise gedroht, weil er sich nicht angemessen behandelt fühlte. Eintausendsiebenhundert Ritter hatte Philipp zum Hoffest nach Mainz mitgebracht – so viele wie Landgraf Ludwig von Thüringen und der Herzog von Sachsen zusammen, was diese wiederum verärgerte.
»Das war nun wirklich nicht zum Vortrag vor den Fürsten geeignet«, befand Lukas grinsend, als Ludmillus sein bissiges Lied über das Gezänk der eitlen Herrscher beendet hatte.
»Ja, und ich fürchte, über kurz oder lang werde ich mir am Hof des Kaisers größten Ärger einhandeln«, sagte dieser mit gespielter Schicksalsergebenheit.
Er wandte sich Christian zu, der seinen Arm im Feuerschein schützend um Marthe gelegt hatte. »Ich schulde Euch noch ein Lied, Herr!«
Dann begann er zu singen, mit sanfter, betörender Stimme: ein Lied über die Liebe eines Ritters zu seiner Geliebten, die jede Gefahr überwand.
»Sei bedankt«, sagte Christian nach einem Moment des Schweigens, als der Spielmann geendet hatte. Ludmillus verbeugte sich tief vor ihm und Marthe. Dann bat er, gehen zu dürfen, denn er werde noch zu einem Auftritt vor der Kaiserin erwartet.
»Gott schütze Euch!«, sagte er, als er sich bei seinen Gastgebern bedankte.
»Dich ebenso.«
Einen Augenblick lang herrschte Schweigen zwischen den Freunden, dann half Christian seiner Frau auf, um mit ihr zu Bett zu gehen.
Ihre Schlafgelegenheit war nur durch eine Leinwand von den Ruheplätzen
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