Die Entscheidung der Hebamme
haben mochte. In der hölzernen Kathedrale war es so voll gewesen, dass sie so gut wie nichts hatten sehen können, denn die vorderen Plätze waren den vielen Fürsten vorbehalten, und diese und ihre Frauen hatten den Raum schon fast gefüllt.
Ludmillus griff nach der Laute und begann zu singen.
Wie jedes Mal zog seine unverwechselbare, volltönende Stimme die Zuschauer sofort in den Bann. In gesungenen Versen beschrieb er die prachtvollen Gewänder von Kaiser und Kaiserin, die Feierlichkeit, mit der Graf Balduin von Hennegau, der an diesem Tag zum Reichsfürsten erhoben wurde, das Reichsschwert dem Kaiserpaar vorantrug, und die festliche Krönung des Kaisers.
Marthe wunderte sich nicht zum ersten Mal darüber, wie schnell es der Spielmann verstand, gerade erst Geschehenes in wohlklingende Verse umzusetzen. Zum Schluss des Liedes schilderte er, wie eine hölzerne weiße Taube aus dem Heilig-Geist-Loch des Kirchengewölbes herabschwebte. Er ließ den letzten Ton verklingen, schob rasch die Laute, die er an einem Band um den Hals trug, nach hinten, formte aus den Händen eine flatternde Taube und ließ sie gurrend davonfliegen.
Die Zuschauer staunten, lachten und applaudierten begeistert.
Jetzt erst entdeckte Marthe Ludmillus’ Frau, die jener vor Jahren in Eisenach kennengelernt hatte, als er zusammen mit Lukas aufgebrochen war, um den totgesagten, aber in einem Verlies gefangen gehaltenen Christian zu suchen und zu befreien.
Die junge Frau ging mit einer Filzkappe herum und sammelte Pfennige und Hälflinge von den Zuhörern ein, von denen die meisten freigiebig spendeten. Christian legte einen Ring hinein, nicht nur aus Begeisterung für den Vortrag. Neben ihr begannen nun zwei Burschen von vielleicht sechs und acht Jahren, die unverkennbar Ludmillus’ Gesichtszüge trugen, geschickt mit bunten Bällen zu jonglieren.
Der Spielmann wollte nach einer tiefen Verbeugung von seinem Fass herunterklettern und die Vorstellung beenden, da erinnerten ihn die Zuschauer an sein Versprechen, ein Liebeslied zu Ehren jener Dame im krapproten Kleid vorzutragen.
Peinlich berührt sah Marthe zu Christian, doch der warf ihr einen belustigten Blick zu. »Eine Dame sollte dergleichen huldvoll über sich ergehen lassen«, raunte er.
Marthe fand diesen Hinweis nicht besonders hilfreich. Wie blickt man huldvoll?, fragte sie sich. Dann rief sie sich ein paar der Hofdamen aus Hedwigs Gefolge in Erinnerung, drückte den Rücken durch und sah, so gelassen es ging, in die Runde.
Doch Ludmillus kannte sie zu gut. Statt sie in Verlegenheit zu bringen, spielte er ein einfaches, aber sehr bekanntes Liebeslied, anrührend und einprägsam zugleich.
Noch während die Zuhörer applaudierten, sprang er vom Fass.
»Die Vorstellung ist beendet, edles Publikum«, rief er. »Das zweite versprochene Lied muss ich meinem vornehmen Gönner und seiner Schönen privat vortragen. Ihr versteht?«
Noch ehe sich die Zuschauer in zweideutigen Bemerkungen verlieren konnten, kündigte er an: »Morgen vor Einbruch der Dämmerung findet Ihr mich wieder hier!«
Dann ging er auf Christian und Marthe zu und verneigte sich tief vor ihnen, diesmal ohne das Gehabe, das er bei seinen Auftritten an den Tag legte.
»Ein wunderbarer gesungener Bericht. Aber ich habe deine Spötteleien vermisst«, begrüßte ihn Christian.
»Die sind hier und vor diesem Publikum auch nicht angebracht«, entgegnete Ludmillus lachend.
Dann setzte er eine ungewohnt nachdenkliche Miene auf. »Mir wurde angeboten, mit dem Hof des Kaisers zu ziehen. So verlockend das klingt – ich glaube, immer nur Lobgesänge … das ist nichts für mich.«
»Komm mit uns zu unserem Zelt«, schlug Christian vor. »Lukas wird sich freuen, dich zu sehen.«
»Ich schulde Euch ja auch noch ein Lied«, entgegnete Ludmillus verschmitzt. »Wie geht es dem Herrn Lukas? Und was ist inzwischen aus Euerm Dorf geworden? Oder ist es nun gar schon eine Stadt?«
Das Interesse des Spielmanns war echt. Schließlich hatte er einige Zeit in Christiansdorf gelebt, als Schreiber in Christians Diensten, in der düstersten Phase seines Lebens, als er durch einen grausamen Mord seine erste Frau und sein Töchterchen und damit jeden Lebensmut verloren hatte.
»Du würdest das Dorf kaum wiedererkennen«, berichtete sein ehemaliger Dienstherr und beantwortete damit indirekt gleich Ludmillus’ letzte Frage. Obwohl Otto daran gelegen war, Städte zu gründen, hatte er für Christiansdorf vorerst keine Eile damit. Der Ort
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