Die Entscheidung der Hebamme
bekommen zu haben und wollten sie nach draußen tragen, zur Grube, die das Ende des in aller Eile gegrabenen geheimen Ganges bildete, um ihn in ihre Arme zu nehmen und an sich zu pressen. Doch sie wusste, dass sie jetzt ihre Kammer nicht verlassen durfte, wollte sie keinen Verdacht erwecken, dass sie und etliche Christiansdorfer an der Flucht des Gefangenen beteiligt waren. Albrechts Strafgericht würde wahllos jeden treffen, von dem er wusste, dass er mit ihr und Christian sympathisierte.
So blieb ihr nichts, als zu bangen, zu hoffen und zu beten. Nur, ihr Herz wollte einfach nicht leichter werden.
Der Tag schritt voran, ohne dass etwas geschah.
Mechthild war die Erste, die ihre Kammer betreten durfte. Auf ihrem Gesicht entdeckte Marthe kein verschmitztes Lächeln oder Erleichterung über die geglückte Flucht, sondern nur tiefen Kummer.
Ihr letztes bisschen Hoffnung erlosch wie ein winziges Fünkchen in einem Schwall eisigen Wassers.
»Ritter Lukas bittet, dass Ihr nach seiner Wunde seht, die wieder blutet«, verkündete Mechthild laut. »Er wartet in der Halle auf Euch.«
So war wenigstens Lukas noch frei! Im ersten Moment hatte Marthe befürchtet, die Flucht sei entdeckt und alle Beteiligten verhaftet worden. Dennoch fühlte sie sich, als müsste ihr Herzschlag gleich aussetzen. War Christian tot? Welche andere Erklärung konnte es sonst geben, wenn er nicht in Freiheit war?
»Erlaubt Euer Herr, dass ich hinuntergehe und mich um die Verletzung eines Ritters kümmere?«, fragte sie den Mann, der vor ihrer Tür Wache hielt.
Der überlegte kurz. »Nein, meine Befehle sind eindeutig. Wenn dieser Ritter wirklich Eure Hilfe braucht, soll er hierherkommen, und Ihr behandelt ihn, während ich Euch bewache.«
Marthe blieb nichts weiter übrig, als zu nicken und Mechthild zu beauftragen, den Verletzten heraufzubitten und ihren Korb mit Arzneien zu holen.
Wenig später kam Lukas, mit noch düstererem Gesicht als die Köchin.
Der Wächter begleitete ihn in die Kammer. »Die Tür bleibt offen. Ich werde aufpassen, dass die Ehre der Dame gewahrt wird und hier keine Ränke geschmiedet werden«, verkündete er mit selbstgefälliger Miene.
»Tüchtiger Mann«, lobte Lukas ihn. »Einer, der weiß, worauf es ankommt.«
Der andere grinste dümmlich, drehte sich um und ging, um sich wieder an der Tür zu postieren. Doch er kam keine drei Schritte weit, da hieb Lukas ihm die verschränkten Hände so kräftig in den Nacken, dass er bewusstlos zu Boden stürzte.
»Tölpel«, revidierte er sein Urteil, verschloss hastig die Tür und setzte sich Marthe gegenüber.
»Was ist mit Christian?!«, bedrängte sie ihn, während sie die Tränen kaum zurückhalten konnte.
»Er weigert sich, zu fliehen«, brachte Lukas finster hervor.
»Was???« Marthe starrte ihn fassungslos an. Obwohl diese Antwort für sie nicht unerwartet kam, weigerte sich ihr Verstand, sie zu akzeptieren. »Hast du ihn gesehen? Hast du mit ihm gesprochen?«
»Ja. Als Peter die Nachricht brachte, hab ich mich selbst durch den Gang gezwängt und auf ihn eingeredet. Es besteht keine Chance, ihn umzustimmen. Und so bitter es ist – in gewisser Weise hat er sogar recht.«
Er griff nach Marthes Händen, die eiskalt geworden waren, und umklammerte sie mit seinen. »Ich soll dir von ihm ausrichten, dass er dich liebt. Er bittet dich, jetzt allen Mut zusammenzunehmen und zu ihm zu stehen.«
»Aber …« Marthe brachte vor Entsetzen kaum noch ein Wort heraus. »Weiß er nicht, dass Albrecht ihn töten will?«
»Er weiß es«, sagte Lukas kurz angebunden.
Marthes Tränen zu sehen, brach ihm das Herz. Und auch er konnte nicht mit dem Gedanken leben, dass sein Freund scheinbar gelassen dem Tod ins Auge sah.
»Er meint, wenn er jetzt flieht, macht er nicht nur dich und eure Kinder ebenso zu Gesetzlosen, sondern wer weiß wie viele Christiansdorfer noch«, begann er zu erklären. »Albrecht würde ein Blutbad im Dorf anrichten, und daran will er nicht schuld sein. Sollte er ihn jedoch hinrichten lassen, ohne Landding und ordentlichen Prozess, kann Otto nicht darüber hinweggehen, wenn er nicht die Unterstützung seiner Lehnsleute verlieren will. Es wäre ein so offensichtlicher Bruch des Lehnsrechtes, dass es Albrecht sogar die Erbfolge kosten könnte. Christian sagt, er habe geschworen, euch alle zu schützen. Und er bittet dich um Verzeihung für den Kummer, den er dir bereitet.«
Lukas stockte, weil auch ihm die Stimme brach. Schließlich stand er auf und zog
Weitere Kostenlose Bücher