Die Entscheidung der Hebamme
großen Bogen um ihn schlug.
Wer in seine Nähe musste, tat dies mit allergrößter Vorsicht. Der Stallmeister sorgte dafür, dass der junge Christian mit seinen kaum verschorften Wunden für Arbeiten eingeteilt wurde, bei denen ihn die Leute des neuen Burgvogtes nicht zu Gesicht bekamen.
Peter hielt Wort, so schwer es ihm auch fallen mochte, und brachte seine Bande davon ab, irgendetwas zu unternehmen, das den Zorn und die Rachegelüste Albrechts oder seiner Männer hervorrufen konnte.
Es war auch Hartmuts Einfluss, der zum Burgfrieden beitrug. Der Anführer von Albrechts Wachen fühlte sich Marthe zu Dank verpflichtet, weil er durch ihre Hilfe seinen Schwertarm allmählich wieder gebrauchen konnte. So hielt er seine Männer dazu an, sich zu benehmen. Dass jeden Abend ein paar von Tildas Huren in der Halle waren, das Bier nicht versiegte und die Tische reichlich gedeckt waren, hielt Albrechts Gefolgsleute zumeist davon ab, aus purer Langeweile Streit zu beginnen oder das Gesinde zu schikanieren. Wenn einer doch zu randalieren begann, griff Hartmut ein und warf ihn hinaus.
Marthe wusste allerdings, dass sie alle weiter auf der Hut sein mussten. Albrecht war nicht jemand, der nachgab oder sich eine Gelegenheit entgehen ließ, seine Macht zu demonstrieren. Zumal Elmar an seiner Seite sicher ebenfalls Pläne schmiedete, ihr und denen, die zu Christian hielten, Steine in den Weg zu legen. Er würde nicht eher ruhen, bis er Randolfs Tod gerächt hatte.
Irgendetwas planten sie, irgendeine besondere Hinterhältigkeit, dessen war sie sich ganz sicher.
Sie begann sich immer mehr zu sorgen, ob es ein Fehler war, den künftigen Markgrafen von den Nachwirkungen des Bilsenkrauts zu befreien. Denn je weniger er sich vor Alpträumen fürchtete, umso durchtriebener wurde sein Handeln. Er und seine Männer ließen jetzt zwar die Burgbewohner mehr oder weniger unbehelligt, aber sie wusste, dass es inzwischen zunehmend Ärger im Dorf mit ihnen gab.
Albrecht und seine Ritter ließen sich Lieferungen aus dem Handwerkerviertel kommen. Die Schuhmacher, Gürtler, Sattler, Tucher und auch der Gewandschneider beklagten sich heimlich bei Marthe, dass noch keine einzige Bestellung bezahlt sei.
»Habt Ihr nicht dafür einen von Euch zum Dorfschulzen gewählt, Meister Anselm?«, hielt sie dem Gewandschneider vor, als er sie bat, dafür zu sorgen, dass Albrechts Leute ihre Schulden beglichen. »Soll Meister Josef im Namen aller beim neuen Dorfvogt vorsprechen. Ich bin nur eine schwache Frau; auf mich wird niemand hören.«
Auch wenn Schadenfreude eine Sünde war – sie bedauerte längst nicht alle der Betroffenen. Der Gewandschneider Anselm gehörte zu denjenigen, die intrigiert hatten, um den Schmied Jonas als Dorfschulzen durch den zwielichtigen Tuchhändler Josef zu ersetzen. Josef war rücksichtslos gegenüber Schwächeren, aber feige vor Höhergestellten, sein Zechbruder Anselm hatte sich sogar etwas noch Widerwärtigeres zuschulden kommen lassen: Er hatte einst sein Mündel zur Hure gemacht.
Die beiden Wortführer aus dem Christiansdorfer Nicolaiviertel, in dem die Kaufleute und Handwerker wohnten, gehörten zu den in besonderem Maße Geprellten. Bei ihnen hatte Albrecht am meisten in Auftrag gegeben.
Doch am härtesten treffen würde es den alten Schuhmacher, wenn ihm gleich mehrere Paar Stiefel nicht bezahlt würden. Seine Frau war kränklich, und er hatte nach dem Tod seiner einzigen Tochter und deren Mann noch ein paar Enkel durchzufüttern, von denen die meisten zu klein waren, um schon mitzuverdienen. Er tat Marthe leid. Aber diese Angelegenheit musste tatsächlich der Dorfschulze regeln.
Sollen die Dorfbewohner doch sehen, was sie an Meister Josef haben, dachte sie grimmig. Sie haben ihn schließlich selbst gewählt! Ich bin keine Fee wie aus den alten Geschichten, die alle Wünsche erfüllen kann. Es ist schwierig genug, Albrecht und die Seinen auf der Burg einigermaßen im Zaum zu halten.
Dennoch: Es ging nicht an, dass die Lieferungen an den Burgvogt und seine Leute nicht bezahlt wurden. Das musste geklärt werden.
Eines Abends kam Mechthild mit besorgter Miene auf Marthe zu.
»Diese Kerle fressen mir die Vorratskammer schneller leer, als ich zusehen kann«, beklagte sie sich. »Wenn das so weitergeht, gibt’s zu den Feiertagen nur noch Eichelmehlsuppe. Genau genommen, fressen sie mir die Haare vom Kopf.«
Die Köchin hatte kaum ausgeredet, als eine von Albrechts Wachen auftauchte und Marthe zu seinem Herrn
Weitere Kostenlose Bücher