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Die Entscheidung der Krähentochter: Historischer Kriminalroman (German Edition)

Die Entscheidung der Krähentochter: Historischer Kriminalroman (German Edition)

Titel: Die Entscheidung der Krähentochter: Historischer Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Becker
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in die Finger kriege, hat er nicht wieder so viel Glück.«
    Sie begannen den Tag nicht anders als die vorangegangenen, folgten den üblichen Abläufen, und doch hatte der Vorfall im Dämmerlicht seine Spuren bei Bernina hinterlassen. Immer wieder spähte sie in Richtung der Wälder, betrachtete die Tannen und Buchen sorgsam, als könne jeden Moment jemand hinter ihren Stämmen hervorspringen. Und wie es schien, erging es nicht allein ihr so. Nils zeigte sich ebenfalls besonders aufmerksam, Bernina merkte es an den Blicken, die er gelegentlich in die Umgebung warf. Außerdem reparierte er nicht, obwohl er es angekündigt hatte, den Zaun, der sich außer Sichtweite des Petersthal-Hofes befand.
    Mittags kamen sie für eine rasche Mahlzeit zusammen. Sie wechselten ein paar Worte, berieten, was zu tun war. Ein ruhiger Tag, die Sonne leuchtete am Himmel. Nils machte sich auf in die Scheune, auch dort gab es etwas zu reparieren, etwa den Dreschflegel und die Sense, deren Blatt sich immer wieder vom Stil löste.
    Vom Küchenfester aus verfolgte Bernina, wie er in dem Gebäude verschwand. Selbst jetzt noch, nachdem sie neue Kräfte gefunden, neuen Lebensmut gefasst hatte, konnte sie sich nicht von der Kälte befreien, die von der Scheune auf sie überging, von dieser Scheune, in der sie damals zusammengebrochen war, mehrere Wochen vor dem Tag, den ihr die Hebamme von Teichdorf als entscheidend angekündigt hatte. Der Schmerz, der sie durchfuhr, ihren ganzen Körper, in unerträglich heißen Wellen, die von ihrer Leibesmitte ausgingen. Die urplötzliche Erkenntnis, dass dieser lang erwartete Tag unvermittelt da war, wesentlich früher da war, und das Wissen, dass etwas anders lief als gewünscht, dass etwas Unvorhergesehenes dabei war, in ihr Leben einzugreifen.
    Bernina schüttelte sich, befreite sich von diesen Erinnerungen, lenkte ihre Gedanken auf das Hier und Jetzt. Ja, es war ein anderes Leben, ein neues Leben. Schluss mit schwermütigen Grübeleien, sie wollte sie erst gar nicht mehr entstehen lassen. Das war ihr gut gelungen in jüngster Zeit, zumindest seit der Rückkehr auf den Hof.
    Sie drehte sich um und begann, den Tisch abzuräumen, auf dem noch die Teller und Becher standen. Leise summte sie dabei ein Lied, das sie noch von ihrer Mutter kannte. Hinter ihrem Rücken ertönte ein Geräusch, nicht laut, das kaum vernehmbare Knirschen von Sohlen.
    »Nils?«
    Keine Antwort.
    Bernina wirbelte herum.
    Jetzt wieder völlige Stille.
    Hörte sie schon Gespenster?, fragte sie sich.
    Vorsichtig zog sie in ein Schubfach auf. Sie nahm ein Messer heraus, dessen Klinge besonders scharf war. Nils benutzte es, um geräucherten Speck in hauchdünne Scheiben zu schneiden.
    »Nils?«, rief sie noch einmal.
    Langsam bewegte sie sich, die Augen konzentriert auf den Durchgang gerichtet, der zum Flur führte. Dort herrschte eine trübe Dunkelheit, kein Fenster, und somit drang kaum Sonnenlicht hinein.
    Der Flur war leer. Niemand da.
    Bernina atmete durch, kam sich für einen Augenblick beinahe albern vor mit diesem Messer, das sie fest in der Hand hielt.
    Dann fiel ihr Blick auf ein Stück Papier. Es musste unter dem Türspalt hindurchgeschoben worden sein.
    Also hatte sie sich nicht geirrt – da war das Knirschen von Schuhen gewesen. Jetzt kam es ihr sogar vor, als wäre das Geräusch mit Absicht verursacht worden. Damit sie auf jeden Fall das Papier finden würde. Warum? Damit Nils nichts davon mitbekam?
    Das Messer nach wie vor in der Hand, ging Bernina zur Tür und stieß sie auf. Die Sonne blendete sie. Rasch legte sie die freie Hand über die Augen. Sie sah sich um, betrachtete den Hof. Niemand zu entdecken, kein Mensch. Von der Scheune her erklangen gedämpft die rhythmischen Töne, die von einem Hammer verursacht wurden. Nils war also bei der Arbeit und hatte nichts von dem Besucher mitbekommen.
    Bernina bückte sich, um mit der Linken das Papier aufzuheben.
    Hastig überflog sie die Worte, die darauf geschrieben standen.
     
    *
     
    Einen Halt nach dem anderen hatte der Tross eingelegt. Bei einem Grafen, mit dem der Kurfürst geschäftliche Beziehungen unterhielt, bei einem Baron, den er schon lange kannte, bei einem Treffen mit verschiedenen wichtigen Mitgliedern des Klerus. Ungestört war die Reise bislang verlaufen. Man lag gut in der Zeit, zur Hast gab es keinerlei Veranlassung. Friedliche Tage in kriegerischen Zeiten.
    Sogar innerhalb des Trosses war es unbekannt, wie lange man unterwegs sein würde, welche Ziele es noch

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