Die Entscheidung der Krähentochter: Historischer Kriminalroman (German Edition)
gab. Seinen engsten Vertrauten gegenüber hielt sich Kurfürst Maximilian ebenfalls bedeckt. Wie es in ihm aussah, das wusste niemand. Vielleicht nicht einmal er selbst. Normalerweise war er ein Mann klarer Vorstellungen, klarer Entscheidungen. Diesmal hingegen befand er sich in einer gewissen Schwebe. Er hielt sich die Möglichkeit offen, jederzeit einfach umkehren zu können in die Heimat. Ebenso wie die andere Möglichkeit: Die Reise bis zum letzten anvisierten Punkt fortzusetzen. Er hatte von Männern gehört, die sich zusammentaten, um ein hehres Ziel zu verfolgen. Früher hätte er sich kaum darum bemüht, nähere Auskünfte über sie zu erhalten. Inzwischen war das anders. Er war anders. Vielleicht ergab sich eine Gelegenheit, der Welt, die so lange schon verrücktspielte und Blut vergoss, einen neuen Weg zu weisen.
Ja, diese Männer waren geheimnisvoll – und zudem wohl einflussreich. Eine kleine Gruppe großer Persönlichkeiten unterschiedlichster Herkunft. Viel war über sie nicht in Erfahrung zu bringen. Er wusste, dass das wichtigste Werkzeug in ihren Händen ein weiterer geheimnisumwitterter Mann war. Ihn hatte man für sich gewinnen können. Mentiri hieß er angeblich. Doch offenbar kannte man ihn unter vielerlei Namen. Als der Kurfürst Nachforschungen anstellen und sich dann von einem seiner Sekretäre Einzelheiten des Werdegangs Mentiris mitteilen ließ, erinnerte er sich unwillkürlich an ein Treffen, das vor vielen Jahren stattgefunden hatte – eine Begegnung, die ihm eigentlich längst entfallen war.
Damals hatte Maximilian in seinem Schloss einen harmlos erscheinenden Bibliothekar empfangen, der ihn in einer nicht unbedeutenden Angelegenheit unterstützt hatte. Es war damals um eine Schrift gegangen. Jetzt, mehr als 20 Jahre später, vermochte der Kurfürst sich einzelne Bemerkungen jener Unterhaltung ins Gedächtnis zurückzurufen, als hätten die Erinnerungen nur darauf gewartet, wie aus dem Nichts an die Oberfläche gespült zu werden.
Immer wieder ließ Maximilian auf der Reise, während die Kutsche vorwärts rumpelte, seine Gedanken versonnen zurückwandern. Im Zusammenhang mit der Schrift stand eine Frau. Nicht einfach eine Frau, sondern eine ganz besondere Dame, die er zuletzt in noch weiter zurückliegender Vergangenheit gesehen hatte. Und an die er sein Herz verloren hatte. Eine gefühlvolle Episode in einem Leben, das ansonsten wahrlich nicht von Gefühlen bestimmt war.
Du bist ein alter Mann, gestand er sich auf der Reise mehrfach ein. Und du wirst sentimental. Hätte er sich nicht an die Begegnung mit dem Bibliothekar erinnert – und damit an die einzige Frau, die er je geliebt hatte – , so befände er sich jetzt nicht auf dem Weg nach Baden. Nun allerdings war er schon weit vorangekommen, so weit, dass er wohl nicht mehr umkehren würde. Nicht nur eine sentimentale Regung war in ihm geweckt worden, auch schlichte Neugier.
Weiter ging es durch Baden, in besonders abgelegene Landstriche. Sie hatten reichlich Proviant; die Zug- und Reitpferde waren in bester Verfassung, und das galt gleichermaßen für die eskortierenden Soldaten. Keiner von ihnen bemerkte den Mann, der dem Tross seit einiger Zeit in angemessenem Abstand folgte, manchmal näher kam, sich dann wieder zurückfallen ließ, der ihren Weg zu seinem machte.
Vor allem wenn der Tross in freier Natur übernachten musste, war der Mann nicht fern. Sein langer dunkler Mantel sorgte dafür, dass er im Zwielicht der Dämmerung mit der Umgebung verschmolz. Wenn die Sonne am Himmel verbrannte, war er wie unsichtbar. Er sah vieles, hörte vieles. Dennoch halfen ihm die aufgeschnappten Bemerkungen und Gesprächsfetzen nicht weiter. Es gab keinerlei Hinweise auf das genaue Ziel oder die Absichten des Trosses. Diese Soldaten ritten nicht durch die Lande, um kriegerische Auseinandersetzungen vom Zaun zu brechen. Zumindest so viel stand fest, denn dazu waren sie zahlenmäßig zu gering. Außerdem war bekannt, dass der Kurfürst nicht mehr selbst den Weg zur Front wählte, bereits seit Langem nicht mehr.
Wohin mochte es also gehen? Und zu welchem Zweck?
Paul Holzapfel blieb geduldig. Sein Gespür und seine Erfahrung sagten ihm, dass sein Auftrag in Freiburg mit dieser Reise zusammenhing, deren geheimer Beobachter er geworden war.
Als der Morgen anbrach, schwang er sich wieder in den Sattel, den Blick auf die elegante Kutsche gerichtet, vor die gerade die Pferde gespannt wurden. Es ging weiter. Wohin auch
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