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Die Entscheidung der Krähentochter: Historischer Kriminalroman (German Edition)

Die Entscheidung der Krähentochter: Historischer Kriminalroman (German Edition)

Titel: Die Entscheidung der Krähentochter: Historischer Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Becker
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Bernina, »eine Nachricht erhalten.«
    »Von wem?«
    »Das weiß ich nicht.«
    »Du musst doch … « Abermals vollendete Nils den Satz nicht. »Was ist los, Bernina?«
    Sie löschte das Talglicht, setzte sich auf das Bett und er ließ sich neben ihr nieder. Eine ganze Weile unterhielten sie sich, wogen unterschiedliche Möglichkeiten ab. Erst als die Dunkelheit am dichtesten war, so schwarz, dass man meinen konnte, sie würde nie mehr verschwinden, legten sie sich schlafen.
     
    *
     
    Bernina schlug einen schnellen Schritt an. Wolkenverhangen der Himmel, grau in grau, es war, als könne er sich innerhalb von Minuten auf die Erde herabsenken und sie für immer unter sich begraben. Die Luft war kühl an diesem Vormittag, das Gelände stieg an, es kam Bernina vor, als kenne sie hier jeden Stein, der am Rand der kaum benutzten, durch düstere Waldstücke führenden Trampelpfade lag. Noch steiler wurde es. Zufällig stieß sie auf einen abgebrochen, kaum gebogenen Ast, den sie als Wanderstock benutzte.
    Erst auf einer Hochfläche legte sie eine Pause ein. Sie atmete durch und ließ den Blick schweifen. Tief eingeschnittene Täler, grün bewachsenen Bergkuppen, hier und da eine nackte Felsspitze. Die Sicht reichte weit nach Westen bis zu den entfernten Weinbergen, die sich mit ihrem erdigen Dunkelbraun in die Wolken drückten. Bernina ging weiter, hindurch zwischen mächtigen Tannen und Fichten, ein begehrtes Bauholz. Auch die Glasherstellung, die immer stärker aufkam, verbrauchte Unmengen an Holz; die schönsten Stämme wurden vom Schwarzwald hinab bis nach Holland geliefert. Erneut hielt Bernina inne, um den Eindruck in ihrem Inneren festzuhalten. Das war ihre Welt, eine raue, gebirgige Welt.
    Von jetzt an musste sie keinen Steilhang mehr bezwingen, auf einer Hochebene ging es weiter, erneut durch Wald, durch Unterholz, das jeden Pfad überdeckte. Berninas Anspannung wuchs, sie wählte eine langsamere Gangart. Weiterhin war der Himmel bedeckt, eine graue Masse wie aus schmutziger Wolle.
    Es war nicht mehr weit. Der Weg zu der Lichtung war trotz der Kürze der Nachricht präzise beschrieben worden. Was nicht einmal notwendig gewesen wäre, Bernina kannte die Stelle. Oft hatten sie und Nils an der Quelle, die dort sprudelte, das Vieh gefüttert, das in guten Sommern wochenlang auf den höher gelegenen Wiesenstücken zum Weiden gelassen worden war. Zweige knackten unter ihren Sohlen, dichtes Gestrüpp nahm ihr mittlerweile die Sicht. Noch langsamer kam sie voran, doch nur für kurze Zeit, dann öffnete sich die Lichtung für sie. Und wie aus dem Nichts erwuchs eine Gestalt neben ihr. Ein gespenstischer Moment.
    Schlagartig blieb Bernina stehen.
    Die Gestalt näherte sich und machte Halt, ein Stück weit von Bernina entfernt.
    Sie musterte den Mann argwöhnisch. Ein Umhang verhüllte die Figur, konnte aber den schlanken Wuchs nur wenig kaschieren. Das tief ins Gesicht gezogene Barett, der dichte, fast bis über die Brust wuchernde Bart, die wilden Brauen. Auf den ersten Blick ein völlig Fremder. Wären da nicht die Augen gewesen, helle, abwartend funkelnde Augen, an denen Bernina etwas vertraut vorkam. Ja, das war nicht ihre erste Begegnung mit dem Fremden – und dennoch hätte sie unmöglich sagen können, mit wem sie es zu tun hatte.
    »Wer sind Sie?«
    Statt eine Antwort zu geben, bedeutete ihr der Mann mit einem fordernden Nicken, ihm zu folgen. Er ging los, in die Richtung, aus der er erschienen war. Sie überquerten die Lichtung, er ein kleines Stück voran, und tauchten wieder ein ins Dickicht des Waldes. Hagebuttensträucher und Dornengestrüpp, Weißdorn und Wacholder, hohes Gras, das noch feucht war von der Kühle der Nacht. Nacheinander zwängten sie sich zwischen kratzenden Zweigen hindurch. Bernina spürte, wie die Nässe des Blattwerks auf die Decke überging, die sie sich um den Oberkörper geschlungen hatte.
    Beim Gehen betrachtete sie ihn genau, die zurückgenommenen Bewegungen, die etwas kurz wirkenden Schritte, als traue er den Sohlen seiner klobigen Stiefel nicht – oder als wäre ihm das Schuhwerk zu groß. Im Geiste sah Bernina unablässig sein Gesicht. Wer war das? Wann hatte sie in diese Augen geschaut? Irgendetwas stimmte mit ihm nicht, aber was? Aber was?
    »Wer sind Sie?«, fragte sie erneut, diesmal in forscherem Ton – und mitten in der Bewegung hielt sie inne.
    Der Unbekannte stoppte, drehte sich zu ihr herum. »Mitkommen.« Er warf ihr das Wort regelrecht vor die Füße. Leise, fast ohne

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