Die Entscheidung der Krähentochter: Historischer Kriminalroman (German Edition)
flankiert von jenen Untergebenen, die diesen Landstrich am besten kannten. Ihm selbst war das Terrain ebenfalls nicht gänzlich fremd. Vor Wochen, als die Schlacht bei Freiburg immer verheerender getobt hatte, hatten sich die Kämpfe bis hierher ausgeweitet.
Während des Rittes fühlte Lorathot keine Müdigkeit – oder er ließ sie einfach nicht zu. Bestärkt wurde er durch die Tatsache, dass eine Reihe hochrangiger Offiziere des Heeres ebenso dachten wie er. Sie glaubten nicht an Friedensengel; sie wussten, dass das Leben Kampf bedeutete und nur der Stärkere Zufriedenheit und Reichtum gewinnen konnte. In den letzten Wochen hatte er sich allein gefühlt, als einer der letzten zähen Streiter, doch die eingetroffenen Boten hatten ihm die bedingungslose Unterstützung gleich mehrerer Generäle und Heerführer signalisiert. Es war gut, diesen Rückhalt zu haben, es gab ihm noch mehr Zutrauen in die eigene Sache.
So trieb Lorathot seine Männer weiter an. Jetzt hatte er nicht nur ein Ziel vor Augen, jetzt war zudem Handeln gefragt. Und das war ihm immer schon lieber gewesen als abzuwarten und zu taktieren.
Sein Blick stach in die Dunkelheit, Wasserperlen tropften von der Hutkrempe, während seine Gedanken zurück zu dem Reiter in dem langen dunklen Mantel wanderten. Von ihm hatte er nichts Neues mehr erfahren. Gewiss würde er im Laufe des morgigen Tages wieder von ihm hören. Und auch die anderen vier Reiter unter Führung Feldwebel Eulers, die Lorathot ihm hinterher beordert hatte, waren nicht mehr in der Nähe des Hauptzuges aufgetaucht. Jahrelange Erfahrung sagte ihm, dass eine Überraschung auf ihn warten könnte. Er grübelte über die Zusammenkunft im Schwarzwald nach, über Maximilians Rolle dabei, und unwillkürlich dachte er an jenen Mann, dessen Tod er selbst angeordnet hatte.
Mentiri. Oder Simons, wie er in Wirklichkeit heißen mochte. Lange war es Lorathot nicht klar gewesen, worin die Aufgabe dieses mysteriösen Mentiri bestehen mochte. Um Bücher war es angeblich gegangen, etwas, was Lorathot zunächst mit einem Schulterzucken abgetan hatte. Dann jedoch hatte er erkannt, dass Mentiri eine große Gefahr darstellte – für alles, was er sich zum Ziel gesetzt hatte. Also hatte der Mann von der Bildfläche verschwinden müssen. Und trotzdem taten sich nach wie vor Fragen auf.
Was war im Schwarzwald geplant? Bei einem Kloster würde Entscheidendes passieren. Feldmarschall Franz von Lorathot würde dort sein. Kein Zweifel, Handeln war gefragt. Und er würde handeln. Er würde zuschlagen.
*
Die Decke, die von ihren Schultern rutschte und auf die Erde fiel. Die Regentropfen, die sich in ihrem Haar sammelten. Entschlossene Schritte, die sich unaufhaltsam den beiden Planwagen näherten.
Wie erstarrt stand Bernina da, links neben ihr Hermann Lottinger, rechts Mentiri, der erst jetzt schnaufend auf die Beine kam. Ihr Inneres war wie von einer Schicht aus Eis überzogen, alles kalt, alles leblos.
Aus den Augenwinkeln sah sie, wie Lottinger seinen Degen anhob, eine langsame Bewegung, die seine Anspannung preisgab.
Bernina stockte der Atem.
Von der Gestalt, die sich jäh aus den Büschen löste, waren lediglich die Umrisse auszumachen. Ein Mann; er war groß, sehr groß.
Im nächsten Moment war der Mann da, nach wie vor umhüllt von der Dunkelheit, nur noch Schritte von ihr entfernt. In seiner Hand hielt er einen Degen. Er schwieg, ebenso Lottinger. Ein seltsam dumpfes Schweigen. Und auch von Mentiri war nichts zu hören außer seinem schweren Atem.
Bernina fühlte, wie das Leben, wie die Kraft jäh zurückkehrten in ihre Glieder. Sie stürzte nach vorn, ließ sich von den Armen Norbys auffangen, der den Degen nicht in der Scheide verschwinden ließ, sondern einfach achtlos auf die Erde warf.
»Du bist da«, flüsterte sie.
»Ja«, gab Nils ebenso leise zurück.
»Ich hatte Angst um dich. Furchtbare Angst.«
Er drückte einen Kuss auf ihr Haar und bemühte sich um einen gelassenen Tonfall: »Ehrlich gesagt, gab es dafür auch allen Grund.«
Auf Berninas Wangen waren Tränen, die sich mit den kühlen Tropfen des Regens mischten.
Kapitel 9
Die Söhne einer neuen Zeit
Weit weg vom Rest der Welt, gelegen auf einer von Waldstücken und grünen Hügeln geschützten Hochfläche, stellte das Kloster St. Peter über mehr als 500 Jahre hinweg eine feste Bastion des Glaubens dar. Von hier blickte man auf den nahen Kandel, die höchste Erhebung weit und breit, ein gewaltiges Massiv, das sich rundum
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