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Die Entscheidung der Krähentochter: Historischer Kriminalroman (German Edition)

Die Entscheidung der Krähentochter: Historischer Kriminalroman (German Edition)

Titel: Die Entscheidung der Krähentochter: Historischer Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Becker
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unglücklich war. Erst kürzlich hatte er die große Liebe seines Lebens verloren, nach fast 15 Jahren glücklicher Ehe, die nur durch Kinderlosigkeit getrübt worden war. Seine Gattin starb innerhalb weniger Monate an einer Krankheit, die ihren einst schönen Körper ausgezehrt und ihr Blut dünner und farbloser gemacht hatte.
    So verbrachte Simons noch mehr Zeit zwischen Stapeln kostbarer Bücher. Er wurde zu ihrem alleinigen Herrn. Nur er besaß die Schlüssel, die die schweren Pforten öffneten, nur er entschied, wer eintreten durfte. Er vergrub sich regelrecht in diesem Reich. Nicht einmal die Wirren und Gefahren des noch jungen Krieges ließen ihn an der Welt außerhalb der Spanischen Säle teilhaben.
    Doch auch sonst herrschte angesichts neuester Entwicklungen eine erstaunlich gelassene Stimmung innerhalb der Hofmauern. Friedrich und Elisabeth, das protestantische Herrscherpaar, gekrönt nach der Revolte gegen den katholischen Kaiser, gaben Gesellschaften und Empfänge. Es wurde geplauscht und geplaudert, man genoss Musikdarbietungen und beschwerte sich über den viel zu früh einsetzenden Winter. Gewiss, die kaiserliche Armee trieb in Böhmen ihr schauderhaftes Unwesen, um verlorenes Terrain zurückzugewinnen, doch sie war meilenweit von Prag entfernt. Überhaupt schien es undenkbar, dass diese sichere Stadt mit ihrer uneinnehmbaren Burg als Ziel auserkoren würde.
    Und selbst wenn – Jan Simons hätte sich dadurch nicht in seiner Trauer aus dem Staub der Bibliothek aufschrecken lassen. Deshalb reagierte er auch nicht sonderlich interessiert, als er von einigen sonderbaren Herren für ein bestimmtes Geschäft begeistert werden sollte. Es ging um die Bücher, die er täglich bewachte, umsorgte, katalogisierte. Man lud ihn zu herrschaftlichen Runden ein und versuchte, ihm schmackhaft zu machen, dass er – ginge er auf gewisse Vorschläge ein – den Geisteswissenschaften, die ihm so am Herzen lagen, einen großen Dienst erweisen würde. Er zweifelte, schüttelte den Kopf, ließ sich nicht auf irgendwelche Geschäfte ein. Die Herren wirkten vornehm, schienen durchaus von adeliger Herkunft zu sein, doch bei dem, was ihnen vorschwebte, handelte es sich in Simons’ Augen nichtsdestoweniger um ein Verbrechen: eine besondere Form von Diebstahl, geistigen Diebstahl sozusagen. Die Herren kamen nicht aus Böhmen und taten, was ihre Herkunft betraf, ziemlich geheimnisvoll. Darüber hinaus, so vermutete er inzwischen, benutzten sie falsche Namen.
    Plötzlich änderten sie ihr Verhalten. Sie behielten ihre ausgesuchte Höflichkeit bei, aber irgendetwas drängte sie zur Eile. Simons merkte es an der Entlohnung, die sie ihm zusicherten – sie nahm sprunghaft zu. Und zwar in einem solchen Ausmaß, dass sogar er, der gedacht hatte, nach dem Tode seiner Frau genüge ihm allein die Gesellschaft der Bücher zum Überleben, allmählich schwach zu werden drohte. Die Herren wussten etwas, was alle anderen nicht wussten, soviel war klar. Schließlich erhöhten sie noch einmal ihr Angebot und erklärten einem verblüfften Jan Simons, dass seine geliebten Werke im Spanischen Saal bald ein Opfer der Flammen würden – wie der gesamte Rest von Prag. Es sei denn, er würde endlich seine Halsstarrigkeit aufgeben. Und genau das tat er. Was nicht allein an dem vielen Geld lag, sondern ebenso an der Möglichkeit, seine geliebten Schriften könnten in Mitleidenschaft gezogen werden.
    Jan Simons begann zu organisieren, was ihn anfangs aufs Äußerste empört hatte: den Diebstahl von Büchern. Er kümmerte sich um schweigsame Helfer, richtete alles ein, dass die Dieberei im Schutz der Nacht über die Bühne gehen konnte. Er folgte dabei nicht allein einer plötzlich erwachten Gier nach Vermögen, sondern schlicht und einfach seinem Instinkt Die Herren mit der mysteriösen Herkunft hatten ihn überzeugt. Sie waren diejenigen, die ihm erstmals das Gefühl vermittelten, dass Wissen nicht nur außergewöhnlich befriedigend für den eigenen Geist war, sondern eine gewaltige Waffe in der Welt da draußen darstellte. Hatte nicht schon Alexander der Große geplant, in Ninive eine Bibliothek zu errichten, die ebenso ein Sinnbild seiner Macht sein sollte wie die ungeheure Schlagkraft seiner mazedonischen Soldaten? Jan Simons erkannte, dass ihn Bücher nicht etwa von der Welt entfernten, wie er immer gedacht hatte, sondern ihn mitten in ihr Herz katapultierten.
    So verschwanden in großen Kisten, die mit Talkum und Werg abgedichtet waren, massenweise

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