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Die Entscheidung der Krähentochter: Historischer Kriminalroman (German Edition)

Die Entscheidung der Krähentochter: Historischer Kriminalroman (German Edition)

Titel: Die Entscheidung der Krähentochter: Historischer Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Becker
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Moment war er nicht mehr allein.
    Ein huschender Schemen vor ihm, ein zweiter rechts von ihm.
    Jetzt haben dich die beiden Hunde doch erwischt, schoss es Norby durch den Kopf.
    Er ließ die Zügel des Pferdes los, griff gleichzeitig zu Degen und Pistole, setzte den ersten Hieb mit der Klinge, musste seinerseits einem Angriff ausweichen. Er duckte sich, ein Schuss löste sich aus seiner Pistole, einer der Angreifer wurde von dem Bleiklumpen nach hinten gerissen, wie von einem unsichtbaren Seil von den Füßen geholt.
    Dann ein Schlag mit einer Faust, der Norby zu Boden warf. Ein Kurzschwert sauste auf ihn herab, er rollte sich geistesgegenwärtig über das Moos ab. Er kam wieder auf die Beine, noch mehr Gestalten tauchten auf, jemand schoss auf ihn, traf aber nicht. Wiederum spürte er, wie stark die Verletzungen ihn behinderten. Und noch ein Angreifer war plötzlich da, innerhalb eines Augenblicks aus dem Unterholz gewachsen. Er schlug mit der Pistole nach dem Kerl, der jedoch ausweichen konnte.
    Zu viele!, hämmerte es in Norbys Schädel. Es sind zu viele!
    In diesem Moment wurde er getroffen. Dumpf hörte er den Schlag, erst dann fühlte er einen pochenden Schmerz am Hinterkopf. Hatte jemand mit einem Knüppel zugeschlagen, mit dem Griff einer Pistole? Während er sich diese Frage stellte, merkte er, wie zäh und langsam seine Gedanken auf einmal geworden waren, und es wurde dunkel um ihn.
    Als er wieder zu sich kam, war er gefesselt. Er lag auf der Erde, lugte zwischen hohen Grashalmen hindurch und entdeckte weitere Gefangene, ebenfalls mit zusammengebunden Füßen und Händen. Es handelte sich offensichtlich um völlig unterschiedliche Leute, arme wie wohlhabende, Männer wie Frauen. Offenbar ließ man niemanden mehr in die Stadt hinein – und wohl auch niemanden heraus. Von ihnen glitt sein Blick zu den Bewachern, zu deren bunten Pluderhosen und Federhüten, Kettenhemden und Lederwamsen, Piken und Kurzschwertern.
    Landsknechte. Es waren nicht die Reiter mit den langen Mänteln, denen er im Tal begegnet war, sondern Soldaten. Und das hieß, dass die Gefahr längst da war, während man sich in Freiburg noch fragte, ob wirklich etwas an den Gerüchten über eine fremde Armee dran sei. Der sterbende Fremde hatte recht gehabt: Ein Angriff wurde vorbereitet, stand unmittelbar bevor.
    Stimmen drangen zu Norby. Die Wachposten wurden gerade abgelöst und nutzten den Moment für eine Plauderei. Er hörte zu und erkannte sofort, dass der Zungenschlag anders war als bei den Menschen aus dem Schwarzwald. Die Männer redeten schneller, rollender, abgehackter. Er kannte diesen Dialekt von früher. Diese Landsknechte mussten aus bayerischen Gegenden kommen, sie mussten zu Maximilian I. gehören, dem Herzog von Bayern und Kurfürst des Heiligen Römischen Reiches. Ein alter Mann war dieser Maximilian, schon um die 70 Jahre, doch unzweifelhaft ein mächtiger Mann. Vor gut zwei Jahrzehnten hatte er im legendären Böhmenfeldzug gewaltige Truppenverbände zu großen Erfolgen geführt. Heute jedoch ließ er kämpfen. Und zwar vor allem durch einen General, den Nils Norby kannte. Unwillkürlich musste der Schwede wieder an den goldenen Fingerring mit den springenden Fischen denken. Dann sofort an Bernina. Er sah sie vor sich, ihre hochgewachsene Gestalt, ihr langes Haar, den traurigen Blick, den es zu vertreiben galt.
    Norby biss sich auf die Unterlippe, bis er Blut schmeckte. Bernina war in Gefahr, mehr denn je. Freiburg war zu einer einzigen großen Falle geworden, Bernina war mit unzähligen anderen Menschen in einem tödlichen Ring gefangen, der dabei war, sich enger und enger um die Stadt zu ziehen. Und er konnte ihr nicht helfen, ja, er konnte nicht einmal seine Hände bewegen.
    Norby spuckte Blut aus. Erneut erschien Berninas Gesicht vor ihm, und er musste die Augen schließen. Er zerrte an den Fesseln, bis sie noch stärker in seine Haut schnitten. Er hasste sich für die Wehrlosigkeit, die ihn hier auf der Erde hielt.
    »Ich kann dir nicht helfen«, flüsterte er leise. »Ich kann dir nicht helfen, Bernina.«
     
    *
     
    »Tja, so trug es sich zu, damals in Prag«, rief Gotthold von Mollenhauer aus. »Mit jenem Bibliothekar namens Jan Simons.«
    Noch immer befanden sie sich in dem Fachwerkhaus, das sich inmitten des engen Handwerkerviertels zwischen übel riechenden Gerbereien und Mühlen versteckte. Längst war es Nachmittag. Bernina gestand sich widerwillig ein, dass sie noch weiter und weiter hätte zuhören können.

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