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Die Entscheidung der Krähentochter: Historischer Kriminalroman (German Edition)

Die Entscheidung der Krähentochter: Historischer Kriminalroman (German Edition)

Titel: Die Entscheidung der Krähentochter: Historischer Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Becker
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Schulterzucken, das fast genüsslich wirkte. Die Manierismen, die ihr an Mentiri aufgefallen waren, zeigten sich gleichermaßen bei von Mollenhauer – die Schärfe, mit der er in der Nacht zu Lorentz Fronwieser gesprochen hatte, war völlig verflogen. »Ja, weil Sie couragiert sind. Und wohl auch deshalb, weil ich Sie interessant finde.«
    »Mich?« Verdutzt sah Bernina auf. »Wie kommen Sie auf diesen Gedanken? Ich bin eine einfache Frau, die auf dem Lande und vom Lande lebt.«
    Plötzlich schien sein Blick sie vollkommen zu durchdringen, ehe im nächsten Moment wieder dieser eigentümlich lächelnde Ausdruck zum Vorschein kam. »Sie sind als Waisenkind aufgewachsen. Lange Jahre haben Sie als Magd auf einem Schwarzwald-Hof verbracht. Doch dann überschlugen sich die Ereignisse. Der Hof wurde überfallen, erstaunliche Tatsachen stellten sich heraus. Sie waren gar keine Waise. Ihre Mutter lebte noch, allerdings in den Wäldern, ein Hexenweib, das man die Krähenfrau nannte, so wie man Sie heute manchmal hinter vorgehaltener Hand Krähentochter nennt. Ihre Mutter starb auf dem Scheiterhaufen. Und Ihren Vater, meine Liebe, haben Sie niemals kennengelernt. Er war längst tot, als Sie von Ihrer Familie erfuhren.«
    Unablässig hatten sie einander angestarrt, bei jedem Wort, jeder Atempause. Und weiterhin schwieg Bernina, ihre Augen auf ihn gerichtet.
    »Ja, ja, Ihre Familie«, rief er aus. »Die Falkenbergs. Ihr Vater war Robert von Falkenberg, ein überaus bemerkenswerter Mann. Gelehrter, Maler, Offizier in des Kaisers Diensten, befähigt zu einer außergewöhnlichen Karriere. Doch die Heirat mit der Krähenfrau, seine schwindende Gesundheit und Streitereien innerhalb der Familie ließen es nicht so weit kommen. Als er starb, war er beinahe schon in Vergessenheit geraten. Ebenso wie die Tatsache, dass er viele hoch angesehene Persönlichkeiten kannte und umfassendes Wissen über jene Menschen mit ins Grab nahm. Heute ist nichts mehr von ihm und dem einst großen Besitz seiner Familie übrig. Außer einem Hof im Schwarzwald, dem Petersthal-Hof. Ach ja, und seiner Tochter, dem letzten Spross der Familie von Falkenberg.«
    Noch immer war es Bernina nicht möglich, auch nur ein einziges Wort zu erwidern. Seine Ausführungen hatten ihr gewissermaßen den Boden unter den Füßen weggezogen. Beinahe war es, als stünde sie nackt vor ihm. Denn was er gesagt hatte, entsprach der Wahrheit – nur dass all diese Einzelheiten niemandem außer ihr selbst und ihrem Mann bekannt waren.
    »Gewiss fragen Sie sich, woher ich das alles weiß«, fuhr er mit seiner melodiösen Stimme fort. »Das allerdings ist gar nicht so einfach darzulegen. Wie ich Ihnen bereits erläuterte: Ich bin ein Mann des Wissens. Zusammenhänge zu erkennen, gehört zu meinem Alltag. Alte Schriften und Aufzeichnungen zu finden und mir ihre Inhalte einzuverleiben, das ist das Land, von dem ich lebe. Um einmal Ihre Worte zu gebrauchen.«
    »Ich frage mich eher«, fand Bernina endlich ihre Stimme wieder, »warum meine Vergangenheit für Sie von Bedeutung ist.«
    »Auch wenn es unhöflich klingen mag: nicht Ihre Vergangenheit, eher die Ihres Vaters könnte durchaus von Belang sein. Genau das wird sich jedoch erst noch herausstellen müssen.«
    Zum ersten Mal kam Bernina es vor, als spiele er mit ihr. Als sei er ein Marionettenspieler, der lässig und gekonnt an Fäden zog. Ja, wieder dieses Bild der Fäden. Was hielt sie zusammen? Oder wer?
    »Sie sehen ein wenig erschöpft aus, meine Liebe«, bemerkte von Mollenhauer einschmeichelnd. »Wohl kein Wunder angesichts der vergangenen Nacht. Entschuldigen Sie meine Gedankenlosigkeit. Darf ich Ihnen und Ihrem stillen Begleiter eine Kleinigkeit zur Stärkung anbieten?«
    Kurz darauf saßen sie zu dritt an einem runden Küchentisch. Neben dem Herd stand eine Anrichte mit Kesseln, Töpfen und Pfannen, durchweg aus bestem Gusseisen, darüber hing ein Wandbord mit Koch- und Backwerkzeugen. Alles schien unbenutzt, geradezu unberührt. Auch war niemand vom Personal zu sehen – offenkundig gab es gar keine Hilfen, was bei einem Haus wie diesem seltsam anmutete. Wohl nur ein weiterer Hinweis darauf, wie eigentümlich sein Besitzer war. Er selbst hatte den Tisch gedeckt: Wasser, Bier und Milch in Krügen, ein großer Laib Brot in einem Korb und kleine Schüsseln, gefüllt mit leckerem Birnenkompott.
    Erst jetzt bemerkte Bernina, wie hungrig sie war. Der Schrecken, den sie am Fluss durchlebt hatte, ließ in seiner schaurigen Wirkung

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