Die Entscheidung der Krähentochter: Historischer Kriminalroman (German Edition)
den scharfen Geruch von Pulver heran.
Bereitwillig ließ sich der Mann von der Dunkelheit verschlucken, sie bot ihm Schutz vor fremden Augen und ließ ihn durchatmen nach den Anstrengungen der letzten Tage. Er sank ins Gras, spürte das Pochen in den Muskeln und sah dorthin, wo sich die Stadtmauer erhob, jetzt kaum noch sichtbar, obwohl nicht mehr weit entfernt.
Alles war schwarz, in Freiburg verzichtete man darauf, Lichter zu entzünden. Der Wind schickte noch ein paar Böen, die die Grashalme leise rauschen ließen. Den ganzen Tag war Nils Norby unterwegs gewesen, jede Deckung nutzend, die sich bot, den ganzen Tag zu Fuß, da es unmöglich gewesen war, bei der waghalsigen Flucht das eigene Pferd oder gar ein fremdes an sich zu bringen. So war er nur langsam vorangekommen in einer Gegend, in der es vor Soldaten wimmelte, die ihrerseits den Schutz von Büschen und Gesträuch suchten. Keinen Bissen gegessen, lediglich ein paar Schlucke Bachwasser getrunken. Die Verletzungen brannten unter seiner Haut, in seinem Fleisch, das Fieber machte den Kopf feuerheiß, Schweiß tropfte von seiner Stirn, selbst jetzt noch.
Er legte das Seil und den eisernen Haken, die er aus der Scheune eines abseits gelegenen, verlassenen Hofes gestohlen hatte, neben sich ab. Dort war beides genutzt worden, um Heuballen und schwerere Lasten auf den Dachboden eines großen Schobers zu hieven. Später würden ihm diese Gegenstände noch von Nutzen sein – wenn er weit genug käme. Damals, vor vielen Jahren, hatte Norby ähnliche Eisenhaken verwendet, Haken, geschmiedet für den Krieg, um fremde Städte einzunehmen. Während er jetzt zu Atem kam, strömten weitere Erinnerungen auf ihn ein, Bilder wie aus einem anderen Zeitalter, als wäre er ein anderer gewesen.
Ja, diese Erinnerungen, lange verschüttet, irgendwo in einem versteckten Winkel seines Kopfes. Ein Offizier Gustavs II. Adolfs war er gewesen, ein Teil des großen Siegeszuges der schwedischen Armee. Eine Stadt nach der anderen wurde besiegt, eine Befestigungsmauer nach der anderen überwunden oder mit Kanonenkraft dem Erdboden gleichgemacht.
Ein Dutzend Jahre lag das nun zurück. Über den Lech war die schwedische Armee in Kurbayern eingedrungen. Scheinbar unaufhaltsam. Ihr Gegner, Kurfürst Maximilian, dieser mächtige Mann, sah sich gezwungen, sich bis nach Ingolstadt zurückziehen. Norby und die anderen Offiziere rochen den süßen Duft eines weiteren, eines bedeutenden Sieges. Ingolstadt sollte gleichermaßen schnell in schwedische Hand gebracht werden. Außerdem sollte der wichtige Donauübergang in Regensburg eingenommen werden.
So stürmten die Schweden voran, eilig, erfolgsverwöhnt, ohne das Gelände ausreichend zu erkunden. Doch die bayerischen Truppen waren vorbereitet. Schon vor Ingolstadt stieß Gustav II. Adolf auf so heftigen Widerstand, dass sein Vormarsch jäh gestoppt wurde. Und die erfolgreiche Verteidigung des Brückenkopfes war es, die das Blatt endgültig wendete. Mehrfach rannten die Schweden an, jedes Mal wurden sie zurückgeschlagen. Regensburg ließ sich nicht besiegen – obwohl evangelisch und mit Gustav II. Adolf sympathisierend, hatte Maximilian die Stadt derartig eingeschüchtert, dass die Bürger nicht zu den Schweden überliefen. Im Gegenteil, der schwedische König war es, der schließlich den Rückzug antreten musste, in Richtung Landshut, ohne dass der Donauübergang in seine Herrschaft übergegangen war. Das geschah im Jahre 1632, es war ein Wendepunkt des Krieges gewesen – und der Anfang vom Ende Gustavs II. Adolfs.
Als er starb, nicht lange darauf, begann auch der Abstieg Nils Norbys, dem mit dem Tod des Königs plötzliche, völlig unerwartete Zweifel kamen, Zweifel an sich selbst, an all dem, wofür er die ganzen Jahre eingestanden war. Ohne ehrenvollen Abschied verließ er die Armee. Er wurde zum Getriebenen, zum Fahnenlosen, zum Abenteurer, zu einem einsamen Mann, den nichts mehr in die Heimat zog und dem der Boden des Kaiserreichs fremd blieb.
Bis er Bernina traf. Bis sie ihm neuen Halt, neuen Sinn gab.
So viel hatten sie für sich gewonnen, sie beide gemeinsam, einen friedvollen Flecken inmitten der kriegerischen Umwelt hatten sie geschaffen. Trotz des grausamen Schicksalsschlages, als ihre Tochter leblos zur Welt gekommen war, besaßen sie genug Liebe füreinander, die sie verband und stark machte, die eine Zukunft verhieß, eine schöne Zukunft.
Offenbar hatten Bernina und er dennoch nicht zu schätzen gewusst, was sie aneinander
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