Die Entscheidung der Krähentochter: Historischer Kriminalroman (German Edition)
Erlebnissen der letzten Tage.
Lächelnd schaute sie zu Nils, der neben dem Gefährt ritt, etwa eine Pferdelänge entfernt. Er sah nicht zu ihr herüber. Seine Miene verfinsterte sich, Bernina kannte diesen Ausdruck. Seine Hand ging nach oben, und im nächsten Moment rief er etwas, ein einziges Wort, das trocken in der sommerlich warmen Luft stand: »Halt!«
Die Gruppe kam zum Stehen, nicht sofort, sondern nach und nach. Alle Blicke folgten der Richtung, in die Nils zeigte, hoch zu der Kuppe, auf die sie zuhielten, und allen stockte der Atem. Lähmendes Entsetzen machte sich breit.
Eisiger Schrecken durchfuhr Bernina.
Neben ihr auf dem Wagen fluchte Baldus leise vor sich hin.
Auf der Bergkuppe formierten sich Reiter, nicht einmal hundert Meter entfernt, einer neben dem anderen, verwegene Erscheinungen, große Hüte mit Federn, die bunte, inzwischen verblichene Kleidung von Landsknechten, die Spitzen von Piken glänzten im Schimmer der untergehenden Sonne, Degen wurden gezogen.
»Und jetzt?«, fragte einer der Teichdorfer schrill, vielleicht Kuntzendorf, aber Bernina achtete nicht darauf. Sie sah wieder zu Nils, in dessen Augen es wild funkelte.
Die ersten Teichdorfer machten auf dem Absatz kehrt, ließen ihre Bündel fallen und rannten los, ein paar versuchten, die Gäule, auf denen sie saßen, in Bewegung zu versetzen, doch die Tiere, kraftlos von dem langen Weg, schnaubten wütend auf.
»Bewahrt Ruhe!«, rief Nils eindringlich. Seine Worte schien jedoch niemand aufzunehmen. Abermals starrten alle hinauf zu der nackten Bergkuppe.
Einer der fremden Reiter hob den Arm, so wie Nils zuvor, der Mann schnarrte eine Anweisung, und der Trupp setzte sich in Bewegung.
»Mein Gott«, hörte Bernina sich flüstern.
Die Reiter galoppierten von der Anhöhe hinunter.
»Mein Gott«, kam es noch einmal über Berninas Lippen.
*
Er stellte sich an das mittlere der drei großen Fenster im ersten Stock. Es war offen, von draußen wälzte sich eine träge Welle heißer Luft ins Innere. Bis eben war es noch angenehm kühl gewesen in dem großen, mit blank geschrubbten Dielen ausgelegten Raum. Dennoch schloss er das Fenster nicht, er war mit seinen Gedanken ganz woanders. Nicht hier in Villingen, in dieser kleinen Stadt, die er zu seinem Lager gemacht hatte – er war eine gute Wegstrecke entfernt, befand sich nach wie vor mitten im Geschehen der vergangenen Tage. Sein Mund war ein harter Strich, seine Stirn wie immer gefurcht.
Nie hatte er etwas Derartiges erlebt, niemals, nirgendwo, zu keinem Zeitpunkt in diesem gewaltigen Krieg. Sie hatten seinen Befehl verweigert. Einfache Soldaten.
Zuerst wurde Franz von Lorathot fuchsteufelswild, er raste vor Wut, dann jedoch, als er sie betrachtete, die ausgezehrten Gesichter, die schlaffen Körper, die leeren Augen, ließ er sie gewähren – was große Verblüffung auslöste. Die Verfolgung des sich zurückziehenden Feindes wurde abgeblasen. Er war ein Starrkopf, jedoch keinesfalls ein Hohlkopf. Was nicht durchführbar war, war nicht durchführbar, ganz einfach. Er hat Freiburg nicht eingenommen, allerdings ist er auch nicht besiegt worden. Durch eine Reihe von Boten und Depeschen sorgte er dafür, dass Kurfürst Maximilian darüber ins Bild gesetzt wurde. Das Entscheidende an Lorathots Befehl war ohnehin, einem möglichen feindlichen Vormarsch in Richtung Bayern entgegenzuwirken – und das ist ihm mit Bravour gelungen. Maximilian reagierte dementsprechend nicht mit Besorgnis oder Ärger, sondern mit Dankbarkeit und Lob auf die Nachrichten aus dem Badischen. Dem Feind war derart stark zugesetzt worden, dass keinerlei Gefahr für bayerischen Boden bestand.
Und Franz von Lorathot konnte sich durch seine Nachsicht weiterhin der Gefolgschaft seiner Truppen sicher sein. Sogar mehr als früher. Durch nichts zuvor waren ihm seine Männer so ergeben gewesen wie durch eben dieses Nachgeben – nicht durch Belohnungen, nicht durch Sonderrationen. Im Nachhinein ein kluger Schachzug, mit dem er seine Armee auf die nächsten Schlachten vorbereitet, ja eingeschworen hatte. Ab jetzt würde man ihm noch bedingungsloser folgen. Franz von Lorathot hatte noch viel vor in diesem Krieg.
So war er letztlich – trotz seines grimmigen Gesichtsausdrucks und des einen oder anderen Rückschlages – nicht unzufrieden mit der jüngsten Entwicklung. Eine Sache allerdings, die wollte ihm einfach nicht aus dem Kopf gehen. Noch immer war er nicht dahinter gekommen, was der Kurfürst vorhatte. Eine
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