Die Entscheidung der Krähentochter: Historischer Kriminalroman (German Edition)
Reise, ja. Nach Baden, auch das wusste Franz von Lorathot. Nur die Absicht, die hinter diesem Aufbruch stand – die lag nach wie vor im Dunkeln. Der Feldmarschall hielt die Ohren offen, ließ sich unablässig von seinen Leuten am bayerischen Hof über die Vorgänge unterrichten, mittels Boten und neuerdings sogar mithilfe von Brieftauben. Und dennoch – Maximilians Reise blieb ein Rätsel. Offenbar verzögerte sie sich noch, da der Kurfürst erst einige Dinge am Hof zu regeln hatte, aber nach wie vor stand sie auf dem Plan. Franz von Lorathot schätzte es nicht, rätseln zu müssen. Vorerst blieb ihm jedoch nichts anderes übrig, als auf neue Nachrichten zu warten.
Sein Blick glitt über den Rathausplatz. Es war früh am Nachmittag, hier und da schlenderten Menschen über das Kopfsteinpflaster, Handwerker, Schreiber, Mägde. Eine ruhige Stadt, ein guter Ort, um sich eine kurze Erholungspause zu gönnen, ehe man neue Wege einschlug.
Ein Klopfen an der Tür brachte Lorathot dazu, sich umzudrehen. Er spürte den Sonnenschein im Rücken, als er den Mann hereinkommen ließ, den er zuvor zu sich bestellt hatte.
Der Mann trat vor und zog den Hut, eine Staubwolke entstand. Der lange dunkle Mantel, das dunkle speckige Wams aus einfachem Leder, die mit Dreckspritzern besudelten, völlig abgelatschten Stulpenstiefel. Selbst im Sommer gab er stets das gleiche Bild ab, mehr ein Schatten als ein Mensch. Ein Tod bringender Schatten, wie Lorathot nur zu gut wusste. Das Einzige, was an ihm für Helligkeit sorgte, war der golden schimmernde Ring, den der Feldmarschall ihm einst zum Geschenk gemacht hatte.
»Du hast gebeten, dich für eine Weile davonmachen zu können, wie ich höre«, meinte Lorathot in seinem berüchtigten metallisch schnarrenden Tonfall.
»Nicht unbedingt davonmachen«, gab der andere zurück. »Wenn Sie mich brauchen, bin ich da. Das wissen Sie. Nur dachte ich, in den kommenden paar Tagen würde nicht viel passieren. Und zumindest den ersten davon möchte ich gern nutzen.«
»Wofür?«
»Für einen Besuch.«
Lorathot schmunzelte. »Wen willst du denn besuchen? Ich dachte, du und deine Freunde, ihr wärt allein auf der Welt.« Normalerweise scherte er sich keinen Deut darum, was seine Männer während ihrer freien Zeit trieben – aber bei diesem Kerl verspürte er eine gewisse Neugier. Er kannte seinen Namen, mehr wusste er nicht über ihn. Abgesehen davon, dass er sich absolut auf ihn verlassen konnte. Jedenfalls bislang.
»Ich will zu einer kleinen Gemeinde, die ganz in der Nähe liegt«, sagte der Mann jetzt gedehnt. »Alte Bekannte wohnen dort.«
Der Feldmarschall näherte sich ihm, um dann abrupt stehen zu bleiben. Das Schmunzeln verschwand. »Übrigens, deine beiden Freunde: nach wie vor kein Lebenszeichen von ihnen?«
»Nein.«
»Nun ja, das ist wohl ein anderes Zeichen: eines für ihren Tod.«
»Das sehe ich auch so.«
Nüchtern und ruhig, diese Stimme. Stets. Ganz egal, um was es ging. Lorathot konnte nicht umhin, sich einzugestehen, dass er einen gewissen Respekt vor diesem Mann hatte. »Um noch einmal auf Freiburg zurückzukommen.«
»Ja?«
»Ich habe dich fürstlich dafür entlohnt. Daran siehst du, dass diese Sache für mich von besonderer Wichtigkeit war.« Der Feldmarschall grinste. »Deshalb sollst du auch den Tag zu deiner freien Verfügung erhalten, den du willst.«
Ein kurzes Nicken als Dank.
»Aber nicht mehr als diesen einen.« Lorathot drehte sich um und ging zurück zum Fenster. »Es könnte sein, dass ich dich bald wieder brauche. Ich deutete es ja bereits an. Vielleicht nicht sofort, aber mir ist es lieber, du bist in der Nähe. Wenn etwas geschieht, kann das sehr schnell gehen.«
»Sie planen einen neuen Angriff auf die Franzosen und die Schweden?«
»Seit wann kümmerst du dich darum, was ich plane?«
»Es war nur eine Frage.«
»Dass es eine Frage war, weiß ich. Es überrascht mich allerdings, dass du eine stellst. Du und deine Kumpane – ihr habt sonst nie Fragen gestellt.« Der Feldmarschall hörte, wie hinter ihm die Stiefelsohlen auf den Dielen scharrten.
»Dann werde ich es weiterhin so halten wie bisher.«
»Das freut mich«, erwiderte Lorathot süffisant. »Genieße also deinen Tag. Morgen in der Frühe erwarte ich dich hier im Lager. Es kann sein, dass du sofort, ohne jegliche Verzögerung, einsatzbereit sein musst.«
»Ich werde da sein.«
Die Stiefelabsätze hallten laut durch den großen Raum, als der Besucher sich nach diesen Worten
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