Die Entscheidung der Krähentochter: Historischer Kriminalroman (German Edition)
einem Knüppel, in dessen vorderes Ende er eiserne Haken getrieben hatte, schlug er einen Söldner vom Pferd, groß seine Augen, als könne er gar nicht fassen, worauf er sich da eingelassen hatte und was ihm gerade gelungen war. Sogar Gertrud Lottinger stürmte heran, auf ihren kurzen, stämmigen Beinen, in ihren Händen eine Sense. Und jetzt tauchte Kuntzendorf auf, leicht schief auf seinem Ackerpferd hockend, einen Dreschflegel schwingend. Als Letzter kam er, aber er kam. In seinem verzerrten Gesicht spiegelte sich dieser Widerstreit der Gefühle, der alle erfasst hatte, diesen Wechsel von klirrender Furcht und grimmiger Entschlossenheit.
Gegenseitig rissen sich Männer zu Boden. Ein Wind pfiff, das Licht der Sonne, noch immer rot, verlor an glühender Kraft. Degen, Harken, Spaten, Piken, ein Durcheinander aus Waffen, schrillem Pferdegewieher, Kampfgebrüll und Schmerzensschreien von Verletzten, darunter Baldus’ unverkennbare Stimme. In hohem Bogen flog der Gnom durch die Luft und prallte hart auf die Erde. Sofort war Bernina bei ihm. Sie ergriff seine Hände und schleifte ihn durchs hohe Gras. Er stöhnte auf, sie sah Blut auf seiner Kleidung.
»Halte durch, Baldus!«, hörte sie ihre eigene Stimme, ängstlich, wütend, angestrengt, alles zugleich, und zog den Knecht unter den Wagen. Neben ihm kniend, den Kopf tief über ihn gebeugt, zerriss sie sein Wams. Mit schnellen Griffen versorgte sie die Wunde, die offenbar von einem Degenstich stammte. Die Augen des Knechtes waren halb geöffnet, er schien gar nicht mehr mitzubekommen, was gerade geschah.
»Halte durch, Baldus«, sagte Bernina erneut, ganz heiser, flüsternd, so eindringlich es ihr möglich war.
Ein Pferd prallte mit lautem Krachen gegen den Wagen, es galoppierte weiter, panisch wiehernd, weiterhin die Schreie der Männer, Schlagwaffen, die voller Wucht auf Leiber trafen. Und plötzlich, wie auf ein geheimes Zeichen, löste sich der Lärm auf; was blieb, war allein ein tiefes, erleichtertes Aufseufzen, das man eher fühlen als wirklich hören konnte.
Bernina kam unter dem Wagen hervor und wagte kaum, den eigenen Augen zu trauen. Die Söldner traten den Rückzug an, humpelnd, rennend, nur noch eine Hand voll von ihnen reitend, jetzt ihrerseits nichts anderes mehr im Blick als einen Waldstreifen, um sich zu verstecken.
Keiner der Teichdorfer stieß einen Triumphschrei aus. Stumm die Mienen, darin die weit aufgerissenen, staunenden, überwältigten Augen, die sich auf die flüchtenden Männer richteten.
Die Sonne verschmolz mit dem Horizont, irgendwo weit entfernt in der Welt, die Dämmerung zog heran, ein Zustand der Schwebe zwischen Helligkeit und Finsternis, und erst nun ertönte eine Stimme aus den Reihen der Bauern.
»Wir haben sie besiegt«, sagte Hermann Lottinger, noch keuchend vor Anstrengung. Blut lief aus seiner Nase, Blut klebte an seinem Knüppel.
»Zumindest zurückgeschlagen«, erwiderte Norby, der sich so gefasst anhörte wie immer, auch wenn er ebenfalls außer Atem sein musste.
»Diese Männer zurückzuschlagen, ist ja gerade der Sieg«, ließ Bernina sich vernehmen. »Ein verblüffenderer Sieg als mancher Feldherr ihn im Krieg errungen hat.« Sie glitt neben Nils, ließ sich von seinem Arm umschlingen.
Es kam einem Wunder gleich, kein einziger der Teichdorfer hatte den Tod gefunden.
»Meinst du, die kommen wieder, Norby?« Kuntzendorf stand breitbeinig da und hielt sich mit einer Hand den blutenden Schädel. Auch er hatte, wie alle Übrigen, etwas abbekommen in diesem Kampf.
»Gut möglich, dass sie genug haben.« Norby lachte kehlig. »So eilig, wie sie es gerade hatten.«
»Dennoch dürfen wir uns nicht zu sicher sein«, gab Lottinger zu bedenken.
»Da hast du recht.« Norby nickte in die Runde. »Lasst uns weiterhin auf der Hut sein.«
»Wir müssen nach den Verwundeten sehen«, meinte Bernina.
Gemeinsam mit Gertrud Lottinger machte sie sich ans Werk, nachdem sie sich alle von der freien Fläche in den Wald zurückgezogen hatten, aus dem sie gekommen waren. In den vergangenen Kriegsjahren hatte sie sich schon um so manche Verletzung gekümmert. Sie wusste nur zu gut, was getan werden musste. Druckverbände anlegen, von Schlägen gebrochene oder angeknackste Knochen schienen. Das war das, was notdürftig erledigt werden konnte. Anschließend verloren sie keine Zeit mehr, das letzte Stück des Weges hinter sich zu bringen. Es war tiefe Nacht, als sie, geleitet von einer Fackel in Nils Norbys Hand, an den Petersthal-Hof
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