Die Entscheidung der Krähentochter: Historischer Kriminalroman (German Edition)
zurückzog.
Lorathot betrachtete wieder den Platz vor dem Rathaus. Ja, ohne jegliche Verzögerung – das hatte er nicht aus Gewohnheit gesagt, es könnte tatsächlich schlagartig Bewegung in die Sache kommen. Was allerdings nichts mit den Schweden oder Franzosen zu tun hatte, sondern allein mit Kurfürst Maximilian.
Sein Blick fiel auf den Mann, mit dem er eben noch gesprochen hatte und der nun das Gebäude verließ. Mit langen Schritten mischte sich die schlanke, auffallend hochgewachsene Gestalt unter die Menge, der Kopf mit dem schwarzen Hut überragte die übrigen Menschen. Lorathot sah dem Mann hinterher, der jetzt in einem Stall verschwand, um gleich darauf wieder herauszukommen, auf einem ebenfalls dunklen Pferd sitzend, das er die Straße hinab in Richtung Ortsausgang traben ließ.
Der Feldmarschall wandte sich ab und setzte sich an einen Schreibtisch, der im hinteren Teil des Zimmers stand. Einmal mehr griff er zu den verschlüsselten Nachrichten, die ihn zuletzt aus Bayern erreicht hatten. Und damit war er wiederum bei der Frage, die ihm am meisten unter den Nägeln brannte. Was wollte Maximilian in Baden? Nach wie vor hatte Franz von Lorathot keine Antwort darauf.
*
Die letzten Sonnenstrahlen sickerten in tiefen Rottönen in das Land. Es war, als würde der Himmel bluten. Die Wälder ringsum wirkten schwarz, wie mit einer dicken Schicht Pech beschmiert, ein düsterer Wall, der Schutz und Rettung zu verheißen schien.
In wildem Galopp hetzten die Reiter die mit hohem Gras bewachsene Anhöhe hinab, die Degen und die Piken erhoben, funkelnde Werkzeuge eines grauenhaften Todes. Die Teichdorfer hingegen taten alles, um den Bäumen näher zu kommen, die meisten rannten; manche mit ihren Kindern in den Armen, andere hatten einfach alles fallen gelassen, was sie behindern könnte. Ihr Hab und Gut war unwichtig geworden – es ging ums nackte Überleben.
»Halt!« Nils Norby Stimme schallte über die freie Fläche hinweg. Hart riss er sein Pferd am Zügel, sodass es sich aufbäumte. »Es ist zu spät! Bleibt zusammen!«
Niemand achtete auf ihn, die Teichdorfer liefen weiter, trieben ihre Gäule mit heftigen Schlägen an.
Baldus hatte den Wagen zum Stehen gebracht, Berninas Blick war auf Nils gerichtet, ihr Herz raste, sie war zu keinem Laut fähig.
»Bleibt zusammen!«, brüllte Norby erneut. »Wenn ihr euch zerstreut, werdet ihr abgeschlachtet wie die Hasen.«
»Nils!« Endlich hatte Bernina die Starre abgeschüttelt. »Was sollen wir tun? Wir sind verloren.«
Wild ruckte seine Kopf hin und her, sie sah ihm an, wie verzweifelt er nach einem Ausweg, einer Lösung, einer Idee suchte. Baldus stand plötzlich auf dem Bock des Wagens, einen Knüppel erhoben. »Herr Norby hat recht«, hörte Bernina seine flüsternde Stimme, die durch das lauter werdende Hufgetrappel der fremden Reiter schwer zu verstehen war. »Wenn wir die Flucht antreten, rennen sie uns mit ihren Pferden über den Haufen.«
»Aber wir drei können doch nichts ausrichten«, erwiderte Bernina dumpf. In ihr war alles wie aus Blei, tonnenschwer und zugleich völlig leer. Das ist das Ende, dachte sie. Söldner wie diese waren im ganzen Land gefürchtet, Söldner hatten unglaublich viel Leid über die Bevölkerung gebracht.
Der erste der Reiter war nun da, Bernina konnte den draufgängerischen Glanz in seinen Augen sehen. Nils tauchte unter dem Degen des Mannes ab und wuchtete ihn mit einem Ellbogenschlag aus dem Sattel. Geistesgegenwärtig sprang Baldus vom Wagen, um die Zügel des Pferdes zu greifen. Er führte es zum Wagen, glitt wieder hinauf – und von dort gewandt auf den Rücken des hochbeinigen Tieres, ein kurioses Bild, der Gnom im Sattel, wie er den Knüppel schwang, sehenden Auges dem aussichtslosen Kampf entgegen.
Alles vorbei, dachte Bernina, alles vorbei. Die Reiter stießen ein Gebrüll aus, das sie bis ins Mark traf. Nie hatte sie sich hilfloser gefühlt, nicht einmal in jener Sekunde, als sie von Lorentz Fronwieser gefesselt ins Wasser gestoßen worden war.
Unvermittelt mischten sich andere Stimmen in die Schreie der Söldner, Stimmen, die in Berninas Rücken erklangen, und es dauerte einen langen Moment, bis ihr klar war, wem sie gehörten.
Johann Lottinger war da, ebenso Brugger, Stecher, Guttmann, Merk, selbst der alte Schoferer, weit über 50, dessen Hof Wochen zuvor von den drei rätselhaften Fremden überfallen worden war. Ferdinand, der Knecht des Fluck-Hofes, saß auf einem ungestüm rennenden Esel. Mit
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